Bukarest. Streunende Hunde machen seit Jahrzehnten Rumäniens Städte und Dörfer unsicher. Der Tod eines kleinen Jungen, den die Tiere zerfleischt haben, entfacht nun erneut den Streit darüber, wie man der Plage Herr werden könnte. Eine Mehrheit ist für eine radikale Lösung - und für ein Ende des falsch verstandenen Tierschutzes.
Valentin Anghel steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben: "Mein Sohn ist nicht an Hundebissen gestorben - sie haben ihn regelrecht gefressen", berichtet der Bukarester Computerfachmann bei der Beerdigung seines vierjährigen Kindes rumänischen Journalisten. Der kleine Ionut war zusammen mit seinem sechsjährigen Bruder von einem streunenden Hunderudel angegriffen worden.
Der ältere Junge kam leicht verletzt davon und alarmierte die Großmutter: "Oma, Ionut ist tot. Fünf Hunde waren auf ihm drauf", zitierte die schockierte Großmutter die Worte ihres Enkels.
Abertausende Hunde in Rudeln unterwegs
Auf Rumäniens Straßen leben abertausende streunende Hunde in Rudeln zusammen, die ihre Reviere aggressiv verteidigen. Allein in Bukarest sollen es Schätzungen zufolge 65 000 sein. Immer wieder werden Menschen angegriffen. Und die Opferzahlen steigen: Im Jahr 2007 wurden 10 500 Fälle von Hundebissen registriert, 2012 schon 16 192.
Der Tod des kleinen Ionut macht die Leute wütend. Aufgebrachte Bukarester Eltern organisieren sich im Internet-Netzwerk Facebook und planen Demonstrationen. Nach einer Blitz-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IRES sind 72 Prozent der Bukarester inzwischen dafür, dass die Tiere eingeschläfert werden.
Allerdings wird in Rumänien seit Jahrzehnten sehr emotional über den Umgang mit den Streunern gestritten. Die einen können den oftmals mitleiderregenden Blicken der Tiere nicht widerstehen. Andere finden es unfassbar, dass man sich in einer europäischen Hauptstadt wegen der Hunde seines Lebens nicht mehr sicher sein kann.
Rumänische Medien machen die Tierschutz-Aufsichtsbehörde ASPA mitverantwortlich für die Hundeplage. Sie gebe fast ihr ganzes Jahresbudget von 3,2 Millionen Euro für die eigene Bürokratie, rechnete die Tageszeitung "Romania libera" vor. Dagegen seien nur rund 210 000 Euro für die Versorgung von Heimtieren veranschlagt.
Der tödliche Angriff kam von Hunden, die wieder freigelassen worden waren
Tierschützer - auch aus dem Ausland - heizen die Diskussion zusätzlich an. Die Tierschutzorganisationen "Vier Pfoten" plädiert etwa dafür, die Tiere massenweise zu kastrieren und danach wieder freizulassen. Der Verein beruft sich dabei auf eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Tatsächlich empfiehlt die WHO Massenkastrationen, schreibt aber auch, dass eine "Einschränkung der Bewegungsfreiheit" dieser Tiere geboten sei. Keine Rede also davon, sie frei herumlaufen zu lassen.
Rumäniens Verfassungsgericht hat 2012 ein Gesetz gekippt, das das Einschläfern der Straßenhunde erlaubt hätte. Derzeit dürfen die Tiere nur dann getötet werden, wenn sie nachweislich aggressiv oder unheilbar krank sind. Wie kann der Staat so den in der Verfassung garantierten Schutz des Lebens gewährleisten, fragt die Mutter des getöteten Jungen Ionut auf ihrer Facebook-Seite.
Vier der Hunde, die den Vierjährigen getötet haben, waren bei den Behörden registriert, kastriert und geimpft worden. Einer von ihnen war zeitweise in der Obhut des rumänischen Tierschutzvereins Caleidoscop, der ihn aber wieder freigelassen hatte. Dieser Hund hatte nach der Attacke auf Ionut Blut an der Schnauze - ein Fall für die Staatsanwaltschaft. (dpa)