Hamburg. Nach 20 Jahren auf der Straße wieder in die eigenen vier Wände ziehen – diesen Traum hat sich heute der Obdachlose Uwe Schneider aus Hamburg erfüllt. Seit einem halben Jahr an seiner Seite ist Ole Seidenberg, der das Schicksal des Hamburgers bekannt machte und seine Geschichte erzählt.

„Geschlafen hat Uwe heute Nacht vor Aufregung kaum“, berichtet Seidenberg kurz nach dem Abschluss des Mietvertrags in Hamburg. Nach 20 Jahren auf der Straße hat Uwe Schneider jetzt wieder ein Dach überm Kopf. Für den Hamburger ein Ereignis, dass er erst glauben konnte, als er den Ordner mitsamt Mietvertrag in den eigenen Armen halten durfte. Doch selbst bei einem so wichtigen Termin verlor der bis dato Obdachlose nicht seinen Humor: „Kurz nach der Unterschrift meinte Uwe: Hoffentlich habe ich jetzt keine Waschmaschine gekauft“, erinnert sich Seidenberg. Er selbst sei vor dem Termin aufgeregter gewesen als sein Schützling.

Ein Deal mit Folgen

Kennen gelernt haben sich die beiden Hamburger eher zufällig: „Ich kam gerade von einem Bewerbungsgespräch und ging im Anzug an Uwe vorbei.“, erinnert sich Ole Seidenberg an die Begegnung im Januar 2009. Obwohl der Kontrast zwischen Anzug und Bettlerklamotten größer nicht sein kann, kommen beide ins Gespräch. Uwe Schneider bittet Ole Seidenberg um etwas Geld. Doch der will mehr als nur ein paar Euro spenden. „Man wird immer angesprochen, aber fragt nicht nach. Ständig trifft man die Obdachlosen wieder und fragt sich: Warum ändert sich eigentlich nichts bei denen?“

Die beiden machen einen Deal: Uwe Schneider bekommt eine Mahlzeit und einen Schlafplatz bezahlt und erzählt Seidenberg dafür seine Geschichte – und die ist lang. Nach der Sonder- und Hauptschule wird er Koch und Konditor. Doch dann trifft ihn das Schicksal: Beide Elternteile und der Bruder sterben. Aufgeben will der Hamburger aber nicht, arbeitet weiter in seinem Beruf. Bis die Firma Konkurs anmeldet. „Das war zu viel für mich. Der Job war doch alles, was ich hatte“, zitiert Seidenberg den Obdachlosen in einem Blog. Was folgt sind Alkohol, Obdachlosigkeit, Drogen, Hepatitis C und HIV. Jeder Tag ist für Uwe Schneider ein Kampf ums Überleben, mit 13 Euro muss er auskommen. Er verdient sie durch Betteln und den Verkauf von „Hinz & Kunzt“, einer Obdachlosenzeitung. Sein Leben scheint aussichtslos – bis er Ole Seidenberg trifft.

Sprachrohr Social Media

Uwe Schneider (links) und Ole Seidenberg beim Kaffeetrinken und Gespräch in Hamburg.
Uwe Schneider (links) und Ole Seidenberg beim Kaffeetrinken und Gespräch in Hamburg.

„Ich schlug ihm vor, zu helfen. Ich wollte im Freundeskreis um Unterstützung bitten und in meinem Blog über Uwe berichten“, erinnert sich Seidenberg. Was ein Blog ist, wusste Uwe Schneider bis dato noch gar nicht. Doch die Internetseite sorgte bereits in den ersten 24 Stunden des Hilfeaufrufs für 60 Euro in der Spendenkasse. „Als ich Uwe das erzählen wollte, hat er gar nicht damit gerechnet, dass ich überhaupt wiederkomme.“

Was dann folgt, ist eine sich überschlagende Welle aus Berichten, Spenden und Zukunftsplänen für Schneider. Regelmäßig stellt Ole Seidenberg Videos ins Internet, die Spender sollen verfolgen können, wo ihr Geld hilft. Ebenso regelmäßig stellt sich Uwe Schneider vor die Kamera und spricht auf verschiedenen Websites wie auch youtube mit seinen Unterstützern. Für Ole Seidenberg ist das der Beweis, dass Soziale Netzwerke funktionieren. „Das Internet war das Sprachrohr und der alles ermöglichende Kanal für uns“, ist er sich sicher. „Wir hatten nicht nur etablierte Medien im Rücken, sondern durch das Internet war für viele der persönliche Kontakt zu Uwe möglich.“ Vor allem die Feedback-Möglichkeit hält der Social Media Experte für starken Rückenwind auf Uwe Schneiders Weg. „Wir haben sogar Spenden aus Polen und Weißrussland bekommen“. Die "Aktion Uwe" ist im Gegensatz zu vielen anderen Spendenaktionen schließlich nicht anonymisiert.

Der Tagtraum vom Nachtcafé

An die eigene Wohnung hat sich Ole Seidenberg mit Uwe Schneider schrittweise angenähert, „alles ändere hätte ihn überfordert“. Der Mietvertrag war für beide die wichtigste Etappe auf dem langen Weg in ein normales Leben für Schneider. Geplant haben beide auch noch ein Nachtcafé, das sich der ehemalige Obdachlose schon lange wünscht. Dort sollen andere Obdachlose etwas Warmes und einen Zufluchtsort bekommen. 10.000 Euro hat die Körber-Stiftung in Hamburg dafür bereits zur Verfügung gestellt. Jetzt sucht Ole Seidenberg Partner, da Uwe Schneider auf Grund seiner HIV-Erkrankung höchstwahrscheinlich nicht wieder als Koch und Konditor arbeiten darf.

„Uwe ist sehr an seinen Aufgaben gewachsen“, ist sich Seidenberg sicher. Uwe selbst sagt, er erkenne sich kaum wieder. Heute kann sich der ehemalige Obdachlose wieder auf mehr einlassen. „Alleine das Handy war schon ein Problem“, erinnert sich Ole Seidenberg mit einem Schmunzeln. „Er wollte einfach keines haben. Aber ich konnte ja nicht immer ganz Hamburg nach ihm absuchen.“

Vom Leben lernen

Während Uwe Schneider von Ole Seidenberg ein großes Stück Hilfe bekommen hat, konnte auch Seidenberg von ihm etwas lernen. „Ich kann jetzt einschätzen, was im Leben wichtig ist. Uwe hat mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.“ Ein bisschen muss sich Schneider aber noch an den neuen Alltag gewöhnen. „Mit dreckigen Fingernägeln zum Unterschreiben des Mietvertrags erscheinen, das muss ja nicht sein“, lacht Seidenberg.