Lac-Mégantic. . Ein mit Tausenden Tonnen Öl beladener Güterzug raste führerlos in eine kanadische Kleinstadt und entgleiste - die Ladung explodierte und verwandelte Lac-Mégantic in ein flammendes Inferno. Der Zugführer war längst im Hotel.

Es war kurz nach ein Uhr nachts, als Gilles Fluet seinen letzten Drink bezahlte und sich mit zwei Kumpels auf den Weg nach Hause machen wollte. Doch als er vor die Türen seiner Stammkneipe in der kanadischen Kleinstadt Lac-Mégantic trat, traute er seinen Augen nicht. Nur wenig Schritte entfernt brauste ein Güterzug mit quietschenden und rauchenden Rädern an ihm vorbei. Die mit Öl beladenen Kesselwagen rollten in atemberaubender Geschwindigkeit auf das Zentrum des Ortes zu.

„Der Zug rauschte ungebremst mit über 100 Stundenkilometern über die Gleise . Ich wusste sofort, er würde die nächste Kurve nicht kriegen“, berichtete Fluet in der Tageszeitung National Post. „Da habe ich meinen Kumpels zugerufen, bringt Euch in Sicherheit, das gibt eine gewaltige Explosion.“ Sekunden später geschah es: Der Zug entgleiste und über Lac-Mégantic schossen riesige Stichflammen in den Nachthimmel.

Dutzende Häuser gingen in Flammen auf. Menschen rannten durch das Flammeninferno. Fluet und seine Kumpels konnten sich retten. Mehr als einen Tag nach jener verhängnisvollen Nacht zu Samstag brennt das Feuer im Zentrum von Lac-Mégantic noch immer und weitere der mit jeweils 100 Tonnen Öl beladenen 73 Tank-Waggons drohen zu explodieren. Die Feuerwehr kann sich der Unglücksstelle nur langsam nähern und die Bilanz der Katastrophe lässt sich daher nur erahnen. Fünf Tote wurden gefunden, so die Polizei. Es müsse mit noch mehreren Toten gerechnet werden. Mindestens 70 Menschen wurden verletzt Dutzende gelten als vermisst, 40 Häuser brannten nieder.

Eine der schlimmsten Bahnkatastrophen in Kanada

Die Entgleisung in Lac-Mégantic ist eine der schlimmsten Bahnkatastrophen in Kanada. Wie es zu dem Unglück etwa 250 Kilometer östlich der Millionenstadt Montréal kommen konnte, ist noch völlig unklar. Der Polizei zufolge hatte der Zugführer Lok und Waggons wegen seines Schichtwechsels in der Nacht vor der Stadt geparkt. Kurz danach lösten sich aus ungeklärten Gründen die Bremsen und die Waggons rollten über mehrere Kilometer führerlos und ungebremst auf den Ort zu. Nach der Entgleisung im Ortszentrum kam es zu mindestens fünf bis sechs Explosionen. 2000 der 6000 Einwohner mussten ihre Häuser verlassen.

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Ein Teil des Rohöl lief in den nahen See, der den Namen des Städtchens trägt. Feuerwehrleute aus dem US-Bundesstaat Maine eilten ihren kanadischen Kollegen zur Hilfe. Der Unglücksort wurde abgesperrt. Viele Bewohner suchten auch am Sonntag noch nach ihren Angehörigen, viele Eltern nach ihren Kindern. Das Ortszentrum ist völlig zerstört.

Erdöl-Transporte per Bahn gehören in Kanada zum Alltag. Zwar wird das meiste Öl in Pipelines transportiert. Wegen knapper Kapazitäten weichen einige Ölkonzerne aber immer häufiger auf Lastkraftwagen oder Güterzüge aus. Die beiden größten Eisenbahngesellschaften des Landes transportierten letztes Jahr über 83 000 Waggons Rohöl durch das Land.