Essen. 1953 schrieb José Saramago „Claraboia“. 2013 können wir den Roman lesen. Das Manuskript lag bei einem Verlag, der dem jungen, unbekannten Schriftsteller Saramago jahrzehntelang eine Antwort schuldig blieb.
Als der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago im Sommer 2010 mit 88 Jahren starb, trauerte die Welt um einen Schriftsteller, der die Nöte und Enttäuschungen der „kleinen“ Leute in Worte zu fassen vermochte. Damals wussten nur wenige von der persönliche Enttäuschung, die er selbst in jungen Jahren durchlitt. Wenn nun posthum sein Roman „Claraboia“ erscheint, dann erzählt dieses Buch auch von einer Kränkung, die eine literarische Karriere nachhaltig beeinflusste.
1953 hatte Saramago das Manuskript bei einem Verlag eingereicht. Erst 1999, ein Jahr nach der Verleihung des Nobelpreises, erhielt er eine Antwort.
„Claraboia“ sollte erst nach seinem Tod veröffentlicht werden
Seine Witwe Pilar del Río schildert im Vorwort zu „Claraboia“, wie Saramago eines morgens beim Rasieren ein Anruf aus dem Verlag erreichte: Man hätte da sein Manuskript gefunden, ob er mit einer Veröffentlichung einverstanden wäre? Nein, war er nicht. Jetzt nicht mehr. So sehr hatte ihn damals das Ausbleiben einer Reaktion – sei sie nun positiv oder negativ – und die mangelnde Achtung vor seiner Arbeit gekränkt. Hatte ihn, so seine Witwe, „in ein leidvolles, unabänderliches, Jahrzehnte währendes Schweigen versinken lassen“ – erst 20 Jahre später veröffentlichte Saramago, der als Lektor arbeitete, einen ersten Gedichtband. „Claraboia“ sollte, so verfügte er nun, erst nach seinem Tode veröffentlicht werden.
Vielleicht aber wurde Saramago erst durch diese tiefe persönliche Enttäuschung zu jenem Autor, der den Nobelpreis verdiente? „Claraboia“ erzählt von den Bewohnern eines Hauses während der Salazar-Diktatur: ein literarisch erstaunlich reifes Debüt – allerdings keine Literatur von Weltrang. Denn dazu fehlt dem Roman jene dramatische gesellschaftliche Fallhöhe, die später etwa „Die Stadt der Blinden“ oder die „Die Geschichte der Belagerung der Stadt Lissabon“ hatten.
Es geht um die Entfremdung von Eheleuten
In „Claraboia“ sind die Dramen noch privat, wenn auch Politik und Wirtschaft sich in der Atmosphäre von Enge und wirtschaftlicher Not spiegeln. Saramago erzählt von der Entfremdung von Eheleuten, von dem Vater, der seinen Sohn nicht lieben kann. Von Frauen, die ihre Reize verkaufen, wie die Prostiuierte Lídia, oder über ihrer Reizlosigkeit verzweifeln, wie die Angestellte Adriana.
Liebe und/oder Familie sind hier Heimat des Leid eher denn des Glücks, und so verbirgt sich hinter jeder der Türen in diesem Haus ein kleine Tragödie. Wenn auch durchsetzt mit Lichtblicken, Hoffnungsschimmern: Claraboia, so heißt im Portugiesischen das kleine Fenster ganz oben im Dach eines Hauses.
José Saramago: Claraboia oder Wo das Licht einfällt. Hoffmann & Campe, 352 S., 22,99 €