Essen. . Einst war die Gesichtsbehaarung des Mannes ein Ausdruck von Fruchtbarkeit, Rangordnungoder Machtanspruch. Heute ist sie vor allem eins: Teil der Selbstdarstellung. Der Mehr-Tage-Bart und selbst der Vollbart erfreuen sich großer Beliebtheit.

Ob er wirklich diesen Trend gesetzt hat, ist nicht zu belegen. Jürgen Klopp aber, seines Zeichens Trainer des Deutschen Fußballmeisters und Pokalsiegers Borussia Dortmund, ist vielleicht das bekannteste Gesicht dieser Entwicklung in Deutschland. Und Klopps Gesicht zeigt so deutlich einen Bart, dass es deutlicher nicht geht. Die haarige Zier des Mannes – sie hat längst den Weg zurück aus der Nische gefunden. Eine Betrachtung.

Grundsätzliches

In ihrer Doktorarbeit „Zur Kulturgeschichte des Bartes von der Antike bis zur Gegenwart“ hat Wissenschaftlerin Christina Wittig im Jahr 2005 belegt: Der Bart ist nicht nur das letzte Überbleibsel unserer ehemaligen Vollbehaarung, er war auch seit der Antike lange Zeit ein Symbol für Fruchtbarkeit und Machtanspruch, ein Zeichen von Rangordnung oder Gruppenzugehörigkeit. Er zierte Götter und Herrscher, „er wurde geschnitten, geformt, gedreht (. . .) geölt, parfümiert und selbst mit Goldfäden ergänzt“, schreibt Wietig. Religions- und kunsttheoretisch, aber auch mode-soziologisch habe das Signal des Barttragens viele Wandlungen erfahren. Und: Der Bart, der Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Selbstrasur zurückgedrängt worden sei, sei als Symbol nicht totzukriegen. „Die Fülle der gegenwärtigen Bartinszenierungen der Individualisten belegt das Bedürfnis der Selbstdarstellung in der modernen Massengesellschaft.“

Der Drei- bis Sieben-Tage-Bart

„Kaum ein Modeprospekt kommt derzeit ohne sie aus“, sagt Stilberaterin Juliane Gareis. Sie meint Männer mit seit Tagen unrasierten Gesichtern. Und auch bei der Wahl des neuen „Mister Germany“, des angeblich schönsten Mannes Deutschlands, waren am vergangenen Wochenende nicht nur ausnahmslos glatt rasierte, muskulöse Oberkörper zu sehen, sondern auch viele Drei- bis Sieben-Tage-Bärte. Sieger Jörn Kamphuis (24) trug einen solchen in Blond. Wahrscheinlich, um sein eher weiches Gesicht ein bisschen zu betonen.

Jürgen Klopp, der unrasierte Fußballtrainer mit einem Hang zu Leidenschaft und zur Grimasse, ist von der Werbeindustrie schon vor Monaten geschickt als Trendsetter und Kopf einer Bewegung inszeniert worden, die offenbar nachwirkt. Vor der Fußball-Europameisterschaft war er das Gesicht einer „Wir-rasieren-uns-nicht-bis-zum-EM-Aus“-Kampagne. Die in Fernseh-Spots gezeigten Männer verhielten sich dabei wie die unrasierten Mitglieder einer Geheimloge, die sich wissend zunickten.

Für Stilberaterin Juliane Gareis war das kein Zufall. „Dass der wilde Bartwuchs regelrecht zur Schau getragen wird, ist seit etwa einem Jahr zu sehen“, sagt sie. Viele Männer sähen damit tatsächlich besser aus. Mehr-Tage-Bärte seien ein guter Kontrast zur aktuell sehr verbreiteten, eher gediegenen Mode. „Sie geben dem Gesicht etwas Verwegenheit“, so Gareis. Und: Gepflegte Mehr-Tage-Bärte seien sogar businesstauglich. Vorausgesetzt: Es wächst auch was. „Fusselige Bärte mit deutlich sichtbaren Lücken“ findet Gareis „nicht so schön“.

Der Vollbart

Der Trend kommt aus dem Ausland. Schauspieler-Ikonen wie George Clooney oder Brad Pitt haben ihn getragen, aber auch Prinz William. In der Mode werde er gern mit gepflegten, langen Haaren kombiniert, weiß Stilberaterin Gareis. „Das soll avantgardistisch wirken und grenzt fast schon an Kult.“ Nicht zu vergleichen sei dies mit den Vollbärten, die sich Männer eher aus Faulheit stehen ließen. In Amerika, so heißt es, sei die Hochzeit des vollen Bartes schon wieder vorbei. Stattdessen nehme man das Phänomen dort auf die Schippe – in Form von Bartmützen, die Kopfbedeckung und Wollbart selbstironisch kombinierten. Der Vollbart, glaubt Stilberaterin Gareis, werde sich auch in Deutschland nicht auf Dauer als Modephänomen halten. „In ein, zwei Jahren dürfte das wieder vorbei sein.“

Der Schnurrbart

Rotzbremse, Respektbalken, Suppensieb – der Oberlippenbart, kurz Oliba, das legen seine alternativen Bezeichnungen nah, polarisiert. In den 1980ern und Anfang der 90er war er absolut in. Die 70er Jahre, in denen die Homosexuellen-Szene in amerikanischen Großstädten die Bärte übernommen hatte und viele Heterosexuelle zur Absetzbewegung bewog, „um Missverständnisse zu vermeiden“, waren überwunden, beschreibt Wietig. Bis heute hätten „eher konservative und meist reifere Männer“ den Schnurrbart beibehalten. Die durch die Jahrhunderte auffällige Beliebtheit dieses Barts könne mit seinem Signalwert für Dominanz und Durchsetzungsfähigkeit und mit seiner bedeutenden Entwicklungsgeschichte beim Militär zurückzuführen sein, so die Wissenschaftlerin.

Optisch könne der Schnurrbart „viele Oberlippen tatsächlich besser aussehen lassen“, meint Stilberaterin Gareis, und nennt als Paradebeispiel US-Schauspieler Tom Selleck (Magnum). Dass der Oliba heute auch wieder von jungen Menschen getragen wird könne mit einer feinen Selbstironie oder einer Absetzbewegung von der Elterngeneration zu tun haben.

Die Spezialbärte

Kotelettenbart, Backenbart, Ziegenbart, ZZ-Top-Bart, Bartfrisuren – besonders gestylte Bärte, ob nach oben gezwirbelt oder eingefärbt, können ein echtes Ausrufezeichen sein. „Sie sind dem hedonistischen, dem alternativen Milieu als auch der Subkultur zuzuordnen“, schreibt Christina Wittig. Sie bauten ein Image auf und definierten mitunter Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Design-Bärte provozierten Blickkontakt und signalisierten gleichzeitig Distanz zur Massenmode. „Ein Massenphänomen dürften sie aber eher nicht werden“, vermutet Juliane Gareis.