Essen. Die Millionen-Produktion „Cloud Atlas“ mit den Hollywood-Stars Tom Hanks und Halle Berry in insgesamt sieben Rollen startet am Donnerstag im Kino. Regisseur Tom Tykwer spricht im Interview über vertraute Zonen und ungewohnte Zonen des Erzählens.

Mit „Lola rennt“ gelang Tom Tykwer 1998 der Durchbruch, mit „Das Parfum“ folgte der internationale Erfolg. Jetzt wagte sich der Regisseur gemeinsam mit den „Matrix“-Machern Lana und Andy Wachowski an die Verfilmung von „Wolkenatlas“ von David Mitchell. Mit einem Budget von 100 Millionen Dollar gehört das in Babelsberg gedrehte Werk „Cloud Atlas“ zu den teuersten deutschen Produktionen überhaupt. Neben Halle Berry, Hugh Grant und Susan Sarandon steht auch Tom Hanks in mehreren Rollen vor der Kamera. Dieter Oßwald sprach mit Regisseur Tykwer (47).

Herr Tykwer, Ihr Film handelt von Wiedergeburt, was waren Sie denn in ihrem vorigen Leben?

Tom Tykwer: Ich weiß nicht so recht. Vielleicht ein ausgepeitschter Sklave, der sich aus der Gefangenschaft befreit? (lacht)

Ganz so ernst wie der „Cloud Atlas“ nehmen Sie selbst die Sache der Reinkarnationen nicht?

Tom Tykwer: Wir hatten nie einen starken religiösen Leitfaden, sondern haben die Geschichte vielmehr über das Erbgut interpretiert. Wissenschaftlich ist unbestritten, dass in uns allen noch vererbte Eigenschaften aus früheren Jahrhunderten stecken. Wie weit man das spirituell interpretieren möchte, bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen.

Der Film spielt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und zeigt dieselben Figuren in unterschiedlichen Epochen – wie komplex darf es im Kino zwischen Popcorn und Cola zugehen?

Tom Tykwer: Die Erfahrung mit Testvorführungen hat klar gezeigt, dass sich ein ganz normales Publikum den Film völlig entspannt und mühelos anschaut, das Kino wurde regelrecht zur Partyzone. Die Zuschauer hatten sofort Lust, in dieses neue Universum einzutauchen, wahrscheinlich auch, weil sie von den vielen formelhaften Filmen mit dem immer gleichen Aufguss mittlerweile die Nase voll haben. Wir wenden uns an Zuschauer, die Spaß am Nachdenken haben und dabei auf aufregende Unterhaltung nicht verzichten wollen.

Mit welchen dramaturgischen Ködern fangen Sie Ihr Publikum?

Tom Tykwer: Wir spazieren in viele vertraute Zonen des Erzählerischen, damit das Publikum sich schnell zurechtfinden kann. Dann biegen wir ab und betreten ungewohntere Pfade und sagen: Schaut mal, wie anders man erzählen kann, ohne dass es anstrengen muss. Möglich wird das nicht zuletzt dank der vielen Trainingseinheiten, die den Zuschauern in TV-Serien wie „Mad Men“ geboten werden. Dort werden ganz selbstverständlich acht bis zehn Bälle der Handlung in der Luft gehalten und anstrengungslos jongliert.

Sie haben den Film gemeinsam mit den Wachowski-Geschwistern gemacht. Worüber haben Sie beim kreativen Dreier gestritten?

Tom Tykwer: Wir haben über vieles gestritten, aber das war stets produktiv, weil wir uns wirklich sehr gut verstehen und seit Jahren gemeinsam einen Film machen wollten. Eigentlich war es erstmal eine Schnapsidee, aber als wir auf David Mitchells Roman stießen, waren wir völlig fasziniert. Wir haben in Costa Rica ein Haus gemietet, uns ein paar Wochen eingeschlossen und den Roman auseinandergepflückt. Dabei haben wir unsere Lieblingsszenen auf Karteikarten geschrieben und auf dem Boden ausgelegt – so entstand das ganze Drehbuch.

Wie war die Arbeit mit Hollywood-Star Tom Hanks?

Tom Tykwer: Tom ist eine echte Gute-Laune-Maschine, er hat auch an harten Tagen beim Dreh immer alle mitgerissen. Er war sehr glücklich über diesen Film, weil er hier die Möglichkeit hatte, einmal ganz andere Dinge zu machen als sonst üblich und dabei die ganze Wundertüte seines Könnens auspacken konnte. Ganz besonders gefielen ihm seine Auftritte als heimtückischer Arzt und vulgärer Autor.

Abgesehen von Martin Wuttke, Götz Otto und einem VW Käfer gibt es keine deutschen Darsteller in dieser Produktion – woran liegt dieser augenscheinliche Mangel?

Tom Tykwer: Das ist eine englischsprachige Produktion, in der die unterschiedlichen Dialekte der verschiedenen Regionen eine ganz besondere Rolle spielen. Einen deutschen Schauspieler zu einem guten Schotten zu machen ist sprachlich einfach kaum möglich. Für die synchronisierte Fassung hierzulande wäre das kein Problem, aber in der Originalfassung wirkt das niemals überzeugend.

Während die Figur von Tom Hanks einige Jahrhunderte benötigt, um vom geistigen Neandertaler zum moralischen Menschen zu werden, gelingt das den Heldinnen sofort – sind Frauen die besseren Menschen im Tykwer-Universum?

Tom Tykwer: So stimmt das ja nicht. Speziell die ungewöhnlichste Heldin, der Klon Sonmi-451, benötigt den gesamten Film, um von einer Sklavin zur Heldin zu reifen. Halle Berrys Hauptfiguren sind im Roman auch schon mit viel Mut ausgestattet, aber sie haben auch immer eine schwere Last zu tragen. Tom Hanks benötigt tatsächlich etliche Zeit, um sich vom miesesten Charakter am Anfang zu einer Figur zu entwickeln, die ihre Dämonen besiegt und moralische Kompetenz erreicht. Allerdings ist die wahrscheinlich unheimlichste, negativste Figur im ganzen Film die Oberschwester im Altenheim – wenngleich sie von Hugo Weaving, also einem Mann, gespielt wird.

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