Essen. Das Genre gilt vielen als abgedroschen, doch diese Woche startet ein Film, der eine Klasse für sich ist im Fach der „Coming-of-Age“-Streifen. Der Autor der Romanvorlage zu „Vielleicht lieber morgen“ führte selbst Regie. Es geht um das erste High-School-Jahr des jungen Charlie.
Filme über das Erwachsenwerden, auch bei uns gerne Coming-of-Age-Filme genannt, sind im Kino nun wahrlich nicht selten. Und eigentlich schaltet man schon innerlich ab, wenn wieder mal einer angekündigt wird.
Aber man sollte nie pauschal denken, denn „Vielleicht lieber morgen“ stellt alle Vorbehalte gegen dieses Genre auf den Kopf und zieht uns wahrlich tief hinein in das erste High-School-Jahr des jungen Charlie. Der besitzt zwar eine Leidenschaft für Sprache und Literatur, fühlt sich in der neuen Umgebung aber wie immer – als Mauerblümchen.
Große Nähe zu den Figuren
Es kommt zwar öfter vor, dass der Autor der Romanvorlage auch am Drehbuch mitwirkt, dass er aber auch selbst Regie führen kann, das ist eine Seltenheit. Vielleicht ist es aber genau das, was diesen Film so besonders macht. Stephen Chbosky hat bereits eine große Nähe zu seinen Figuren, geht liebevoll mit ihnen um und hat möglicherweise auch an der nahezu idealen Besetzung mitgewirkt. Logan Lerman („Percy Jackson“) ist als Charlie der vortrefflich introvertierte Mitschüler, den man kaum zur Kenntnis nimmt.
Dass er schwer am Selbstmord eines guten Freundes zu tragen hat, das erfahren wir von ihm selbst: Charlie lässt uns teilhaben an seinen Gedanken, indem er als Ich-Erzähler selbstverfasste Briefe vorliest.
Exzentrische Clique
Das einsame Leben endet, als Charlie Zutritt findet zu einer exzentrischen Clique, angeführt von Patrick (Ezra Miller), der aus seiner Homosexualität kein Geheimnis macht, und dessen Stiefschwester Sam (Emma Watson), die in Charlie ganz neue Gefühle erwachen lässt. Letzendlich ist Sam es, die in Charlie ganz unabsichtlich noch einmal Erinnerungen an düstere Vorkommnisse in dessen Kindheit wach werden lässt. Es ehrt Chbosky, dass er in diesem Moment nicht die große Schicksalspauke schlägt, sondern seinen beiläufigen Erzählstil beibehält. Was uns auch zeigt: „Vielleicht lieber morgen“ will nicht das große Drama transportieren, es ist eher ein Film, der mit dem Dahingleiten des Lebens den Einklang sucht.
Wie behutsam Chbosky inszeniert, das zeigt sich auch am fast unmerklichen Zeitkolorit der frühen 90er Jahre. Die Musikauswahl ist dezent, reicht von David Bowie über The Smiths bis zu New Order. Und wenn nicht irgendwann ein bestimmter Songtitel verzweifelt gesucht würde, niemand aber auf die Idee kommt, den Computer zu befragen – der Autor dieser Zeilen hätte dies alles als völlig zeitlos begriffen.