Paris.. Im Süden Frankreichs dürfen auch weiterhin Stierkämpfe abgehalten werden. Der Verfassungsrat entschied am Freitag in Paris, dass die in bestimmten Regionen zulässigen Corridas nicht gegen die französische Verfassung verstoßen. Ikonen wie Brigitte Bardot, Alain Delon und Jean-Paul Belmondo hatten sich für ein Verbot ausgesprochen.

Es ist ein Streit, der die französische Nation schon seit über 150 Jahren entzweit: Sollen Stierkämpfe verboten werden oder dürfen sie weiterhin den erhabenen Rang eines schützenswerten nationalen Kulturerbes genießen? Während Ikonen wie Brigitte Bardot, Alain Delon und Jean-Paul Belmondo die blutige „Corrida“ geradezu verteufeln, zählen Film- und Showstars wie Gérard Dépardieu, Eric Cantona und Jean Reno zu glühenden Stierkampf-Freaks. Dutzende vergebliche Anläufe haben Tierschützer bereits unternommen, um das umstrittene Spektakel von französischem Boden zu verbannen. Nun haben die Tierschützer die hochpolitische „Causa“ zum ersten Mal vor den „Verfassungsrat“ getragen. Und dieser - vergleichbar mit dem Bundesverfassungsgericht - stellte nun klar: Es wird auch in Zukunft Stierkämpfe in Frankreich geben - während sie im Ursprungsland Spanien nach und nach zurückgedrängt werden.

"Ununterbrochene lokale Tradition"

Die so genannten „Neun Weisen“ des „Conseil Constitutionnel“ hatten sich über eine höchst widersprüchliche Rechtslage zu beugen. Zwar heißt es in Artikel 521-1 des Strafgesetzbuches unmissverständlich: Wer ein Haustier oder ein in Gefangenschaft lebendes Tier quält, wird mit zwei Jahren Gefängnis und einer Geldbuße von 30 000 Euro bestraft. Doch eine zuletzt 1951 erneuerte Gesetzesnovelle nimmt den Stierkampf davon vollständig aus, indem sie ihn kurzerhand zu einer „ununterbrochenen lokalen Tradition“ erklärte und damit unter Schutz stellte.

„Ununterbrochene lokale Tradition“ – das klingt in den Ohren von Tierschützern wie ein schlechter Witz. Zwar finden sich in einigen Stadtarchiven Belege dafür, dass hier und dort schon im Mittelalter mutige Männer gegen den mächtigen Stier kämpften. Aber „en vogue“ wurde das Spektakel erst Mitte des 19. Jahrhunderts – und das offenbar nur aus einer kaiserlichen Laune heraus. Napoléon III., so geht die Legende, soll seiner aus Andalusien stammenden Gemahlin, einer Gräfin namens Eugénie de Montijo, den sehnlichen Wunsch erfüllt haben, Stierkämpfe auch diesseits der Pyrenäen auszurichten. Von Bayonne in Aquitanien ausgehend erlebte die „Corrida“ nach spanischem Vorbild fortan eine rasante, von feurigen „Paso-Doble“-Klängen unterlegte Verbreitung: bis in die Regionen Midi-Pyrénées, Languedoc-Roussillon und Provence-Alpes-Côte-d’Azur.

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Der Dachverband ONCT listet mit großem Stolz auf, wie tief der Stierkampf auch im Jahr 2012 in Frankreich verwurzelt ist: Die jährlich rund 200 Veranstaltungen würden von über 700 000 Menschen besucht. Allein 47 Städte – von Bayonne, Dax, Mont-de-Marsan und Vic-Fezensac im Südwesten bis Arles und Béziers im Südosten – haben sich in der „Union des Villes Taurines de France“ (UVTF), wörtlich: „Union der Stier-Städte Frankreichs“ – zusammengeschlossen.

Nicht nur Legionäre aus Spanien

Unangefochtene Hochburg des französischen Stierkampfs ist die alte Römerstadt Nîmes im Département Gard. Die Arena steht unter Denkmalschutz, und ein eigens errichtetes Museum erinnert an glanzvolle Tage sowie berühmte Fans: von Pablo Picasso über Ernest Hemingway, bis hin zu Ava Gardner und Jean Cocteau. Damit in den 270 französische Arenen nicht nur „Legionäre“ aus Spanien antreten, sorgen sie in Nîmes ebenfalls für einen Nachwuchs an französischen Toreros.

Den grimmigen Vorwurf, die arme Kreatur grausam zu quälen und dann um des bloßen Spektakels willen abzuschlachten, lassen die Herren von ONCT und UVTF kühl an sich abprallen. Ihr Anwalt Dominique Piwnica rechtfertigte sich gegenüber der Zeitung „Le Monde“, indem er das Recht auf „kulturellen und sozialen Pluralismus“ einforderte. Auch anderswo im Lande, so fügte er hinzu, würden Tiere gejagt und zum Zwecke des Verzehrs herangezüchtet. Für Rückendeckung von höchster Stelle sorgte der neue sozialistische Innenminister Manuel Valls. Der stammt aus Barcelona und nannte den Stierkampf „eine Kultur, die geschützt werden muss“. Dem Nachrichtenmagazin „Le Point“ sagte er: „Das ist etwas, was ich liebe und ein Teil meiner Familie ist.“