Haida Gwaii.. Nach der Tsunami-Katastrophe in Japan 2011 sollen nach Schätzungen fünf Millionen Tonnen Trümmer in den Pazifik gespült worden sein. Der Müll taucht jetzt auch an Kanadas Küste auf. Die Menschen fürchten, dass das, was dort angespült wird, verstrahlt sein könnte.

Die kanadische Pazifikinsel Haida Gwaii ist ein stürmischer Ort. Das ganze Jahr über pfeifft der Wind und meterhohe Wellen rollen auf die Küste zu. Sie spülen allerlei Strandgut an: alte Baumstämme, glitschige Schlingpflanzen, zerbrochene Muscheln. Ab und zu sind auch Abfälle von den Frachtern auf hoher See darunter: Plastiktüten, Flaschen, Schuhe. Für die 5000 Insulaner nichts Besonderes. Doch seit einigen Wochen übersteigt das Strandgut das normale Maß. Es trägt japanische Schriftzeichen – Überreste des Tsunamis vom vergangenen Jahr. 15 Monate später hat ein Teil dieser Trümmer die kanadische Westküste erreicht.

„Ich nehme meist eine Mülltüte an den Strand mit. Denn man kann das Zeug ja nicht einfach liegen lassen“, erzählt Bürgermeister Andrew Merilees (41). Regelmäßig findet der Kanadier Schaumstoffteile, die in Asien als Isoliermaterial beim Hausbau verwendet werden. Dazu entdeckt er Benzinkanister, Spielzeug, Plastikeimer. Unlängst habe ein Bekannter am East Beach sogar eine Harley-Davidson mit japanischem Nummernschild gefunden, berichtet Merilees. An der US-Küste in Oregon wurde ein ganzer Bootssteg angespült. Vor der Küste von Alaska trieb im Frühjahr tagelang ein Geisterschiff aus Japan, bevor es von der US-Marine sicherheitshalber versenkt wurde.

Die zuständige Fischerei-Behörde der kanadischen Provinz British Columbia schätzt, dass bei der Tsunami-Katastrophe insgesamt fünf Millionen Tonnen Trümmer in den Pazifik gespült wurden. Zwei Drittel davon seien mittlerweile im Meer versunken, der Rest treibe als eine Art Teppich auf Nordamerika zu, so eine Sprecherin. Insgesamt handelt es sich um etwas mehr als 1,5 Millionen Tonnen Müll.

Eine Harley aus Japan

Noch schwappt der größte Teil davon laut US-Ozeanbehörde NOAA nördlich von Hawaii. Das Trümmerfeld ist weit auseinandergerissen, 4000 Kilometer lang, 1000 Kilometer breit. Forscher der Uni Hawaii haben errechnet, dass der Großteil ab Mitte nächsten Jahres in mehreren Wellen anlanden wird. Einige Teile haben wegen der starken Meeresströmung und böiger Winde bereits jetzt die Küsten von Kalifornien, Oregon, Washington, Alaska und British Columbia erreicht.

Die Menschen auf Haida Gwaii sehen den Müll mit Sorge. „Wir haben keine Ahnung, was da auf uns zukommt“, gibt Bürgermeister Merilees zu. Viele Bewohner fürchten sich vor radioaktiv belasteten Teilen aus dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima. Meeresbiologen haben an einigen Trümmern Organismen und Meerespflanzen entdeckt, die in Nordamerika bislang nicht heimisch sind. Sie könnten Erreger einschleppen und so das ökologische Gleichgewicht im Meer und an Land gefährden und heimische Arten verdrängen.

Organisierte Aufräum- oder Bergungsarbeiten

Die Behörden in Kanada reagieren bislang allerdings zögerlich. Noch wisse man zu wenig über die genaue Beschaffenheit des Trümmerfeldes, schieb Jim Standen, der Tsunami-Beauftragte der Regierung, unlängst in einem Brief an die besorgten Kommunen der Region. Man werde die Lage aber weiter genau beobachten. Die Gefahr radioaktiver Strahlung hielten die Experten für „gering“. Die Regierung hat zwar eine Trümmer-Arbeitsgruppe eingesetzt. Die beschränkt sich bislang aber weitgehend darauf, das Treibgut zu dokumentieren. Organisierte Aufräum- oder Bergungsarbeiten gibt es nicht.

Gemeinden wie Masset fühlen sich im Stich gelassen. „Die Regierung hat keinen Plan, wie sie mit dem Tsunami-Müll umgehen will“, kritisiert Bürgermeister Merilees. Während die Amerikaner mittlerweile eine Million Dollar für die Bergung locker gemacht haben, fließt in Kanada kein Geld. „Am Ende werden wir nicht ohne Hilfe von außen auskommen“, meint Bürgermeister Merilees. „Das Problem ist noch viel größer, als wir uns das im Moment vorstellen können.“