Tokio/Essen.. Ein Bericht des japanischen Parlaments erklärt die Reaktorkatastrophe von Fukushima als Folge menschlichen Versagens. Wer baut schon Notfallaggregate, die vor den Hauptaggregaten zu Bruch gehen? Und trotzdem macht das Land jetzt einfach weiter.
Der Wiedereinstieg in die Kernenergie ist in Japan in vollem Gange: Gut 15 Monate hat das Land versucht, nach der Atomkatastrophe von Fukushima ohne eigenen Atomstrom auszukommen. Doch am Donnerstag ging in Ohi der erste Reaktor wieder ans Netz. Reaktorblock Nummer drei habe am Morgen begonnen, Strom zu erzeugen, teilte der Betreiber mit. Ohi liegt etwa 500 Kilometer von Fukushima entfernt an der Westküste der Hauptinsel Honshu.
Aber nicht nur hier ist die Kernkraft wieder auf dem Vormarsch, sondern auch in der Unglücksregion selbst: Tepco, der schlimm beleumundete Betreiber des Unglücks-AKW Fukushima-Daiichi, lässt am benachbarten Standort Daini vier beim Erdbeben beschädigte Reaktoren reparieren. Die Anwohner protestieren, fordern den Abriss der Anlage, vergeblich.
Tepco bleibt dabei: Der Tsunami ist schuld
Japan droht damit Fehler zu wiederholen, die ein Untersuchungsbericht des Parlaments jetzt minutiös auflistet. Fehler? Erst im vergangenen Monat hatte Tepco noch die Verantwortung für das Unglück abgelehnt – und stattdessen festgestellt, der „unvorhersehbar hohe“ Tsunami sei schuld.
Doch das klingt wie Hohn, wenn man den neuen Bericht liest. „Der Unfall am Atomkraftwerk von Fukushima war die Folge von Kungelei zwischen der Regierung, den Aufsichtsbehörden und Tepco“, schreiben die Fachleute. Sie fanden erstaunliche Beispiele von Versagen. Eine Auswahl:
Erstaunliche Beispiele des menschlichen Versagens
– Seit 2006 wussten die Aufsichtsbehörden und Tepco, dass es zu einem totalen Stromausfall in Fukushima-Daiichi kommen könnte, wenn Tsunami-Wellen die Anlage treffen. Sie wussten, dass der Reaktorkern beschädigt werden könnte, wenn die Seewasser-Pumpen nach einem Tsunami ausfielen.
– Die Sicherheitseinrichtungen, die im Notfall anspringen sollten, hatten eine geringere Standfestigkeit als die Sicherheitseinrichtungen für den normalen Betrieb. Sprich: Die Notaggregate waren wohl schon vor den Hauptaggregaten zerstört. „Um es klar zusagen: Die Benutzung von Notfall-Equipment, das weniger kann als das normale, führt die Ausarbeitung von Notfallplänen überhaupt ad absurdum“, so der Bericht wörtlich.
– Nach dem Unfall wurden Anordnungen zur Evakuierung der Menschen ständig geändert, weil die Evakuierungszone von zunächst drei Kilometern Radius auf zehn und 20 Kilometer erweitert wurde, alles an einem Tag. Vielen Umgesiedelten war überhaupt nicht klar, dass sie dabei an Orte gebracht wurden, die ebenfalls stark radioaktiv verseucht waren.
Und am Ende nationale Selbstzweifel
Man merkt: Die immerhin von den Volksvertretern berufenen Experten scheuen vor schmerzhaften Einsichten nicht zurück. Die japanischen Notfallpläne hätten ausländischen Standards nicht genügt, schreiben sie unverblümt.
Arbeiten im Problem-Reaktor
Und dann gehen sie mit der ganzen Nation hart ins Gericht: „Auch wenn es weh tut: Wir müssen zugeben, dass das eine Katastrophe ,Made in Japan’ war“, erklären sie. „Ihre wahren Gründe liegen in den tief verwurzelten Konventionen der japanischen Kultur: in unserem reflexartigen Gehorsam; in unserem Zögern, Autorität in Frage zu stellen; und in der Hingabe, mit der wir uns an Vorschriften halten.“