London. . Seit dem Wochenende thront eine riesige Skulptur über dem Olympischen Park. Londoner beschimpfen den Stahlriesen als „Schandfleck“ und “Godzilla der Kunst“. Die 115 Meter hohe, loopingschlagende Doppelhelix soll eine Touristenattraktion während und nach Olympia sein.

Eine Art "Eiffel Tower", einen Eiffelturm, hat Künstler Anish Kapoor den Hauptstädtern versprochen - einen „Awful Tower“, einen "grässlichen Turm“, haben sie bekommen: Seit dem Wochenende thront die größte Skulptur des Königreiches über dem Olympischen Park. Doch statt Liebe auf den ersten Blick hagelt es für die feuerrote, geschwungene Stahlleiter nur Kritik: Als Mutanten-Posaune, Wahnsinniger Boris oder Schielender Holterdiepolter verspotten die Briten ihr neues Wahrzeichen.

Aus zehn Kilometern Entfernung ist die kapriziöse Spirale aus Stahl seit kurzem zu sehen, und für die Londoner ist genau das ein Problem: Sie beschimpfen den Neuzugang in der städtischen Skyline als Schandfleck, „Godzilla der Kunst“ oder „prätentiösen Schrott“. Dabei soll ihnen „Orbit“ als Touristenattraktion jede Menge Einnahmen bescheren. Ende Juli öffnet die Aussichtsplattform der 115 Meter hohen, loopingschlagenden Doppelhelix fürs Olympia-Publikum. Nach den Olympischen Spielen soll sie – für alle zugänglich – Mittelpunkt des Sportlerparks werden.

Ob der Blick auf „Orbit“ bis dahin milder wird, bleibt abzuwarten. Künstler Anish Kapoor und Ingenieur Cecil Balmond jedenfalls arbeiten daran, die Sehgewohnheiten der Briten zu erweitern. Er habe bei der Konzeption des Looping-Turms an den Turmbau zu Babel gedacht, erklärte ihnen Turner-Preisträger Kapoor jüngst - an den „Bau des Unmöglichen, an etwas von mythischer Qualität“. Das Design musste er zwar von geplanten 180 Metern nach unten korrigieren, doch Big Ben und die Freiheitsstatue überragt „Orbit“ auch so spielerisch.

Auf der Herrentoilette besiegelt

Für die ohnehin Olympia-kritischen Ostlondoner hat Orbit allerdings schon einen Fehlstart hingelegt, als er noch pure Idee war: Der Legende nach will Bürgermeister Boris Johnson dem Stahl-Milliardär Lakshmi Mittal das Projekt 2009 auf der Herrentoilette des Weltwirtschaftsforums in Davos vorgeschlagen haben. Der soll gleich dort begeistert zugesagt haben. 20 der 23 Millionen Pfund Gesamtkosten hat Mittal seitdem finanziert; der Imagegewinn für seinen Stahlkonzern dürfte im Gegenzug unbezahlbar sein.

Dass sich hier womöglich zwei Männer per Handschlag im sanitären „Hinterzimmer“ selbst ein Denkmal setzen wollten, ist nur einer von vielen Kritikpunkten. Dass die radikal anmutende Struktur „auf die Leute, die hier leben, herunterschaut“ ein anderer.

„Sie steht für nichts“, meckert ein Kritiker, „sie sagt nichts aus über dieses Viertel.“ Ein Kleinkunstprojekt, bei dem zurzeit jeder Interessierte eine Woche lang eine Granit-Skulptur der Künstlerin Amalia Pica bei sich zu Hause ausstellen darf, bevor er sie dem nächsten Gastgeber überreicht, würde die Menschen im Viertel mehr inspirieren. Nur wenige sehen in dem Unangepasstsein der feuerroten Helix über dem Straßengrau der Backsteinbauten keine Arroganz.

Auch St. Paul’s war umstritten

Kapoor und Balmond bleibt angesichts der Kritik nichts anderes übrig als stoischer Optimismus: Auch die beliebte Kathedrale St. Paul’s sei am Anfang verhasst gewesen, weil sie entgegen des Zeitgeistes keine Turmspitze hatte, sagen sie, der Eiffel-Turm soll gar als extrem hässlich empfunden worden sein. „Natürlich polarisiert auch diese Skulptur“, so Kapoor. Die Skulptur verweigert sich, ein Emblem für irgendetwas sein zu müssen.“ Das müssen jetzt nur noch die Londoner verstehen.