Emden. Nach der Wende im Fall der ermordeten Lena in Emden wirft Kriminologe Christian Pfeiffer der Polizei gravierende Fehler vor. Trotz dürftiger Verdachtsmomente sei der inzwischen entlassene Verdächtige öffentlich in Handschellen vorgeführt worden. Der 17-Jährige habe “den blanken Horror erlebt“.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat der Polizei im Mordfall Lena in Emden schwere Vorwürfe gemacht. "Die Polizei hat gravierende Fehler gemacht", sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Trotz dürftiger Verdachtsmomente hätten sie den inzwischen entlassenen Verdächtigen öffentlich in Handschellen vorgeführt. Dies sei mit der Unschuldsvermutung nicht vereinbar.

Der Jugendliche war am Freitagvormittag überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Der Berufsschüler könne den Ermittlungen zufolge nicht der Täter sein, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Nach einem Bericht der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" soll ein DNA-Abgleich mit Tatortspuren den Verdacht ausgeräumt haben.

Durch die Aufrufe zur Lynchjustiz, die im Internet kursierten, habe der 17-Jährige "den blanken Horror erlebt". Dies sei vermeidbar gewesen. Nach Einschätzung Pfeiffers hätte die Polizei damit rechnen müssen, dass sich der Name des Verdächtigen über das Internet in Windeseile verbreitet.

Die Polizei müsse sich öffentlich für ihren Fehler entschuldigen, forderte Pfeiffer. Auch die Medien hätten durch eine übertrieben emotionale Berichterstattung dazu beigetragen, dass der Jugendliche "zur Zielscheibe der Aggressionen geworden ist".

Staatsanwaltschaft verteidigt Vorgehen im Mordfall von Emden

Die Staatsanwaltschaft verteidigte jedoch ihr Vorgehen. Unter Hinweis auf die Freilassung des am Dienstag zunächst festgenommenen 17-Jährigen sagte der Leitende Oberstaatsanwalt, Bernard Südbeck, am Freitag in Emden: "Wir mussten diesen Haftbefehl beantragen, da zu diesem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht bestand. Die Festnahme war kein Fehler", sagte der Staatsanwalt. Nach dem Gesetz seien die Ermittler gehalten, eine Person, die dringend tatverdächtig sei, festzunehmen und auch bis zum Ablauf des nächsten Tages in Untersuchungshaft zu nehmen.

Mit Blick auf die Sicherheit des Jugendlichen sagte der Staatsanwalt: "Wir werden Hetzaufrufen in sozialen Netzwerken mit Nachdruck entgegen treten und auch gegebenenfalls Ermittlungsverfahren gegen Personen einleiten, die solche Aufrufe tätigen". "Für die Sicherheit des Jungen ist gesorgt, dafür kann ich mich verbürgen", versicherte Südbeck.

Polizeigewerkschaft fordert hartes Vorgehen gegen Lynchaufrufe

Nach den Lynchjustiz-Aufrufen im Internet hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ein energisches Vorgehen gegen die Urheber gefordert. "Wer hinter den Lynchaufrufen steckt, muss die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Es darf nicht toleriert werden, dass einige soziale Netzwerker glauben, in unserem Rechtsstaat Wild-West-Methoden wiederbeleben zu dürfen", erklärte GdP-Bundeschef Bernhard Witthaut am Freitag in Berlin.

Aufrufe zur Lynchjustiz hatte es auch bei einem Auflauf von rund 50 Personen vor einer Polizeiwache gegeben. Ermittler in Emden hatten die aufgeheizte Stimmung sowie die im Internet verbreiteten Drohungen und Denunziationen mutmaßlicher Täter ebenfalls scharf kritisiert. Sie würden die Verantwortlichen mit aller strafrechtlichen Härte verfolgen, erklärten sie.

Ermordete Lena in Emden beigesetzt

In aller Stille ist am Freitag die in einem Emder Parkhaus ermordete elfjährige Lena beigesetzt worden. Die Beerdigung auf einem städtischen Friedhof in der 52.000 Einwohner zählenden Stadt in Ostfriesland fand im engsten Familienkreis statt. Pastor Manfred Meyer sagte, "wir verlieren ein besonderes Mädchen, Lena wird uns fehlen". Eine Stadt, eine ganze Region trauere mit der Familie. Der Tod könne die Erinnerung an ein "offenes, Vertrauen schenkendes und Freundschaft stiftendes Kind" nicht nehmen.

Polizisten hatte während der Beisetzung den Eingang zum Friedhof komplett abgeschirmt. Den Angehörigen habe so ermöglicht werden sollen, in aller Ruhe Abschied nehmen zu können, sagte eine Polizeisprecherin. Überschattet worden war die Trauerfeier von der überraschenden Freilassung eines bislang als tatverdächtig geltenden 17-Jährigen. (afp/dapd)