Essen. Immer mehr Eltern mischen bei der Studien- und Berufswahl ihrer Söhne und Töchter kräftig mit. Sie befürchten, dass ihre Kinder im doppelten Abiturjahrgang 2013 nur mit umfassender Vorbereitung gute Chancen auf einen Studienplatz haben werden.

Noch sitzen sie in ihren Grund- und Leistungskursen, kämpfen sich wahlweise durch Büchners „Woyzeck“, anspruchsvolle Integralrechnung oder das US-Wahlsystem. Doch bereits in einem Jahr steht für die jetzigen Elft- und Zwölftklässler das Abitur an. Sie sind der erste doppelte Abiturjahrgang in NRW und niemand weiß genau, was passieren wird, wenn sich der Schwall der Absolventen in Richtung Universität ergießt. Die Sorge, dass es höhere Hürden geben wird, um einen Studienplatz zu bekommen, ist groß. Nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei ihren Eltern. Denn immer mehr Mütter und Väter überlassen das Thema längst nicht mehr ihrem Nachwuchs, sondern mischen kräftig mit bei der Berufswahlvorbereitung.

„Helikopter-Eltern“ – so werden sie längst genannt: Mütter und Väter, die ihre von Computerspielen, sozialen Netzwerken, Partys und Handys oft abgelenkten Kinder nicht an der langen Leine laufen lassen, in der Gewissheit, sie werden ihre Zukunft schon verantwortungsvoll planen. Nein, sie haben sie in jungen Jahren bereits vor allem beschützen wollen, haben fürs Kleinkind die Wohnung rundum abgesichert, später die Hobbys minuziös geplant, Praktika über „Vitamin B“ organisiert und grundsätzlich eher zu viel erlaubt als verboten.

Mütter bereiten Vortragsprogramm vor

Und jetzt stehen sie mit ihren 16-. 17-Jährigen Seite an Seite, um die letzte große Frage vor dem 18. Geburtstag zu beantworten: Was soll mein Kind werden?

Die Messen, die sich in Deutschland mehrmals pro Jahr an Oberstufenschüler richten, zählen inzwischen eine steigende Zahl von Eltern unter den Besuchern. Bei der Messe „Einstieg“ in Köln gab es kürzlich nicht wenige Mütter, die am ersten Messetag allein anreisten, um das Vortragsprogramm für ihren Sohn oder ihre Tochter vorzubereiten. Diese kamen erst am nächsten Tag und brauchten nur noch mit Mamas Zettel durch die Halle laufen. Selbstverantwortung sieht anders aus.

Reicht die Anzahl der Studienplätze?

Dabei meinen es die Eltern nur gut. Sie sind vor allem verunsichert durch die kursierenden Zahlen, für das Jahr 2013 werde mit 60 bis 70 Prozent mehr Studienanfängern in Nordrhein-Westfalen gerechnet. Für die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW ist es „mehr als fraglich, ob die eingeleiteten Maßnahmen den Bedarf an Studienplätzen in der noch verbleibenden knappen Zeit decken können“, heißt es in einem Schreiben an Wissenschaftsministerin Svenja Schulze. Der Wegfall der Wehrpflicht hat dieses Problem zusätzlich verschärft.

Auch Prof. Dr. Wolfgang Löwer, NRW-Vorsitzender des Deutschen Hochschulverbandes, ist der Meinung, die Zeit reiche nicht mehr aus, um ausreichend Studienplätze zu schaffen. „Studienplätze entstehen nicht durch Geld. Geld ist nur die Voraussetzung. Studienplätze entstehen durch personelle, räumliche und infrastrukturelle Ressourcen.“ Er meint damit eine Verdoppelung der Raumkapazitäten an Hochschulen und ausreichenden Professorennachwuchs. An beidem mangele es in NRW. Außerdem: „Die Studiengebühren, über die man durchaus geteilter Meinung sein kann, sind zur Unzeit abgeschafft worden. Gerade jetzt hätten die Hochschulen die Einnahmen aus den Gebühren gebraucht“, findet Wolfgang Löwer.

Eltern sollten Kinder nicht zu sehr an die Hand nehmen

Für manche Eltern ist dieser pessimistische Blick auf den Oktober des Jahres 2013 ein Signal, den Einstieg ihrer Kinder ins Studium besonders gründlich zu überdenken und ihnen den Weg zu ebnen. Direkt studieren? Aber was? Welches Fach verspricht eine Jobgarantie? Oder erst ins Ausland? Aber ist es 2014 nicht noch schlimmer mit den Studienplätzen? Oder doch lieber eine Ausbildung? Oder ein Freiwilliges Soziales Jahr?

Die Messe „Einstieg“ hat in diesem Jahr darauf reagiert und in Köln erstmals einen kostenfreien Elternkongress angeboten. Untertitel: „Startbahn frei - Wie Sie Ihr Kind in der Studien- und Berufsorientierung unterstützen können.“ Dort ging es zum Beispiel um die 130 Ausbildungsberufe im Handwerk, duale Studiengänge bei der Deutschen Flugsicherung und mögliche Zulassungsbeschränkungen an den Unis.

Einhelliger Tenor: Eltern sollten ihre Kinder zwar beraten, aber nicht zu sehr an die Hand nehmen. Man könne Jugendlichen durchaus die Zukunft verderben, wenn man ihnen alle Hindernisse aus dem Weg räume, so Barbara Kols-Teichmann, Geschäftsführerin der Landeselternschaft der Gymnasien in NRW.

So beschreibt es auch ein indisches Sprichwort: „Wenn Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie groß sind, verleih ihnen Flügel.“ Wenn nur das Loslassen nicht so schwer wäre...

Definition:
Als „Helikopter-Eltern“ werden Eltern bezeichnet, die wie ein Hubschrauber kontrollierend stets über ihren Kindern kreisen, un diese zu überwachen und zu behüten.