Tegucigalpa. Eine Feuerwalze rollte durch die Haftanstalt in der Stadt Comayagua in Honduras: Bei einem der verheerendsten Gefängnisbrände seit 100 Jahren sind in der Nacht zu Mittwoch bis zu 356 Menschen ums Leben gekommen. Viele können nur noch mit DNA-Tests identifiziert werden.
Es war einer der verheerendsten Gefängnisbrände seit 100 Jahren. Bei einem Feuer in einer honduranischen Haftanstalt sind in der Nacht auf Mittwoch bis zu 356 Menschen ums Leben gekommen. Eingeschlossene Gefangene schrien verzweifelt um Hilfe, als eine Feuerwalze durch das Gefängnis in der Stadt Comayagua rollte. Präsident Porfirio Lobo sagte im staatlichen Fernsehen: „Das ist ein Tag tiefer Trauer.“
Sie hätten „Feuer, Feuer“ gerufen, sagte der Gefangene Silverio Aguilar dem Radiosender HRN. Allein in seiner Zelle seien 60 Häftlinge eingesperrt gewesen. „Zunächst hat uns niemand gehört. Aber nach einigen Minuten, die uns wie eine Ewigkeit vorkamen, kam ein Wärter mit den Schlüsseln und ließ uns raus.“
475 Gefangene sollen im Tumult entkommen sein, 356 starben
475 Gefangene seien in dem Tumult entkommen und 356 Vermisste seien vermutlich tot, sagte der Sprecher der honduranischen Sicherheitsministeriums, Hector Ivan Mejia. 21 weitere Menschen seien bei dem Brand verletzt worden. Bei einem Brand in einem Gefängnis im US-Staat Ohio waren 1930 mindestens 320 Menschen ums Leben gekommen.
Sie gehe davon aus, dass die meisten Vermissten tot seien, sagte die gerichtsmedizinische Leiterin der Staatsanwaltschaft, Lucy Marder. Da viele Opfer bis zur Unkenntlichkeit verbrannt seien, dürfe es mindestens drei Monate dauern, alle Toten mittels DNA-Tests zu identifizieren.
In dem Gefängnis hätten sich „entsetzliche Szenen“ abgespielt, sagte Feuerwehrsprecher Josue Garcia. Offenbar kam für viele die Rettung zu spät, weil die Wärter mit den entsprechenden Schlüsseln nicht aufzufinden waren. „Rund 100 Häftlinge sind in ihren Zellen verbrannt oder erstickt“, sagte Garcia. Sechs Menschen kamen ums Leben, als sie in einem Wassertank im Inneren des Gefängnisses Schutz vor den Flammen suchten.
„Ich sah Rauch vom Zellenblock 6 und er breitete sich im ganzen Gefängnis aus“, sagte der 24-jährige Häftling Ever Lopez. „Andere Häftlinge und ich haben mit bloßen Händen das Dach aufgestemmt und sind geflohen. Gott sei Dank bin ich am Leben.“
Gouverneurin erhielt kurz vor Brand einen Anruf aus dem Gefängnis
Die Gouverneurin des Staats Comayagua, Paola Castro, sagte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz, Minuten vor den ersten Berichten über das Feuer habe sie ein Häftling angerufen. Er habe ihr gesagt: „Ich werde das Gebäude in Brand setzten und wir werden alle sterben.“ Castro arbeitete einst als Sekretärin in dem Gefängnis und kennt viele der Häftlinge. Nach dem Anruf habe sie die Feuerwehr und Sanitäter benachrichtigt.
Am Mittwochmorgen hätten sich aufgebrachte Angehörige der Opfer vor dem Gefängnis versammelt und versucht, die Haftanstalt zu stürmen, berichteten Augenzeugen der Nachrichtenagentur AP. Im Fernsehsender Canal 5 waren Dutzende Angehörige zu sehen, die Steine auf Polizisten schleuderten. Die Beamten feuerten Tränengas in die Menge. „Wir wollen den Leichnam sehen“, sagte Juan Martinez, dessen Sohn unter den Toten sein sollte. „Wir bleiben hier, bis wir das tun können.“
US-Soldaten unterstützten die honduranischen Einsatzkräfte
In dem 140 Kilometer nördlich der Hauptstadt Tegucigalpa gelegenen Gefängnis waren mehr als 800 Häftlinge untergebracht. Nach Behördenangaben war das Feuer ausgebrochen, nachdem einer der Gefangenen seine Matratze in Brand gesteckt hatte. „Einige seiner Zellengenossen sagten, er habe gerufen: ‘Wir werden alle hier sterben’. Fünf Minuten später stand alles in Flammen“, sagte der Leiter der Strafvollzugsbehörde, Danilo Orellana, der AP.
Rettungskräfte schafften beinahe bewusstlose Häftlinge an ihren Armen und Beinen von der Unglücksstelle. Einer brachte ein Opfer auf dem Rücken vor den Flammen in Sicherheit. US-Soldaten unterstützten die honduranischen Einsatzkräfte bei den Rettungsarbeiten. „Wir bieten ihnen unsere Hilfe an“, sagte Stabsunteroffizier Bryan Franks vom nahe gelegenen US-Luftwaffenstützpunkt Soto Cano. Zu der Einsatzgruppe gehörten Feuerwehrleute und ein zehnköpfiges medizinisches Team.
Angehörige verlangen Aufklärung über Schicksal ihrer Verwandten
Unterdessen versuchten Hunderte Angehörige der Insassen im Krankenhaus Santa Teresa im Staat Comayagua, den Verbleib ihrer Verwandten in Erfahrung zu bringen. Das Krankenhaus behandelte nach Angaben der Gerichtsmedizinerin Marder zwölf Gefangene mit Verbrennungen. Neun weitere Brandopfer wurden in das Krankenhaus Escuela in Tegucigalpa gebracht.
Der honduranische Präsident Lobo verhängte im Juli 2010 den Ausnahmezustand in neun der insgesamt 24 Gefängnisse in Honduras. Der damalige Minister für innere Sicherheit nannte die überbelegten Gefängnisse des Landes „Universitäten der Kriminalität“.
In dem Gefängnis in Comayagua hätten vor allem wegen Schwerverbrechen wie Mord und bewaffneter Raubüberfall verurteilte Häftlinge eingesessen, sagte Behördenchef Orellana. Die Gefängnisse in Honduras gelten als notorisch überbelegt und bei Bränden kommen immer wieder Häftlinge ums Leben. 2004 wurden bei einem Feuer in einer Haftanstalt nördlich der Hauptstadt Tegucigalpa mehr als 100 Menschen getötet. Ein Jahr zuvor kamen bei einem Brand 70 inhaftierte Gangmitglieder ums Leben.
Die honduranischen Behörden hatten sich bereits mehrfach verpflichtet, die Haftbedingungen zu verbessern. Menschenrechtsorganisationen hingegen erklärten, bislang seien keine Fortschritte erzielt worden. Zuletzt hatte das US-Außenministerium die „harten Haftbedingungen“ und Gewalt gegen Gefangene in Honduras kritisiert.
„Dieses Problem besteht bereits seit langem und bislang sind keine Lösungen umgesetzt worden. Aber jetzt werden wir etwas tun, auch wenn wir nicht das Geld dafür haben“, sagte Sicherheitsminister Pompeyo Bonilla. (dapd)