Washington. . Jahrelang soll der Assistenztrainer eines amerikanischen College-Teams Kinder missbraucht haben. Sein Chef, die Football-Legende Joe Paterno, hat offensichtlich davon gewusst und es geduldet.

Die Dimension des Skandals, der Amerika seit einer Woche weit über den Sport hinaus erschüttert, kann am besten erfassen, wer sich in der Theorie auf einen ungeheuerlichen Vergleich einlässt: Ein Assistenztrainer von Sepp Herberger (oder Franz Beckenbauer) vergeht sich über Jahre aufs übelste an kleinen Nachwuchs-Fußballern. Der „Alte“ weiß genau Bescheid, schweigt aber – der Missbrauch geht weiter. Nicht weniger als das wird dem sagenumwobenen Cheftrainer des Football-Teams der Pennsylvania State University vorgeworfen.

Seit Joseph Vincent Paterno, ein kleiner Mann mit Hornbrille, kurz vor seinem 85. Geburtstag Amt und Würde verloren hat, verharrt der professionell organisierte Studenten-Sport in den USA in Schockstarre. Wer Leserbriefspalten und Internetforen verfolgt, spürt: Hunderttausende fallen vom Glauben an einen Mann ab, dem sie schon zu Lebzeiten ein Bronze-Denkmal gegossen haben.

Unter Joe Paterno, der 46 Jahre lang ununterbrochen die Geschicke des wichtigsten sportlichen Arms der Alma Mater dirigiert hat, brachten es die „Nittany Lions“ zu landesweitem Ruhm. Heimspiele im 108 000 Zuschauer fassenden Beaver-Stadion im beschaulichen Örtchen State College haben Wallfahrts-Charakter.

Er galt als Vorbild

Im letzten Jahr machte die Football-Abteilung von „Penn State“ 50 Millionen Dollar Profit. Wer keine Karte kriegt, sitzt zwischen Sommer und Frühwinter vor der Live-Übertragung der College-Duelle, die sich die großen TV-Sender, ob im Basketball oder Football, mittlerweile Milliarden-Summen kosten lassen.

Paterno hat mit 409 mehr Spiele gewonnen als jeder Trainer vor ihm. So einer ist viel mehr als nur Coach und Gebieter über ein Heer von Neben-Trainern, Therapeuten, PR-Spezialisten und Stadionarbeitern. So einer verdient mehr als der Uni-Präsident und dessen Vorzeige-Dozenten zusammen. So einer ist, wie es auf der Tafel an seinem Denkmal heißt, „Erzieher“, „Vorbild“ und „Menschenfreund“; auch der Mächtigen von US-Präsidenten wie Gerald Ford bis George W. Bush. Paterno war Papst und Gott von „Penn State“. Bis die Geschichte von Jerry Sandusky herauskam.

Der 67-Jährige, der 20 Jahre lang Paternos Defensiv-Reihen auf dem Spielfeld formte, ist angeklagt, zwischen 1994 und 2009 mindestens acht Kinder im Alter von 7 bis 12 regelmäßig sexuell missbraucht zu haben. Er streitet ab. Auf 23 Seiten hat die Staatsanwaltschaft alles dokumentiert, die furchtbaren Details sind nicht druckbar. Nur ein Hinweis: Bereits vor neun Jahren wurde Sandusky unter der Dusche der Universität dabei ertappt, als er einen Zehnjährigen vergewaltigte. Nicht von irgendwem. Von Mike McQueary – bis zu seiner Entlassung vorgestern Paternos rechte Hand im Trainerstab.

Der Rotschopf hatte „JoePa“, wie Paterno bis vor kurzem liebevoll gerufen wurde, Bericht erstattet. Nichts geschah. Stattdessen Schweigen. Auch dann noch, als Eltern betroffener Kinder Alarm schlugen. Das Perfide: Sandusky hatte schon 1977 das Hilfswerk „Second Mile“ gegründet, um sozial benachteiligten Kindern mit Talent den Weg in den renommierten College-Sport zu eröffnen, der in den USA vielerorts mehr Herzen und Geld bewegt als die einschlägigen Profiligen. Heute, nachdem ein inzwischen erwachsenes Opfer ausgesagt hat, wissen die Ermittler: „Die zweite Meile“ war für den grauhaarigen Pädophilen wohl das Rekrutierungsbec­ken für seine Schandtaten.

Cheftrainer Paterno schweigt

Seit einer Woche berichten US-Medien über immer neue unappetitliche Details, die „New York Times“ am Samstag auf drei Seiten. Der Universitäts-Präsident, der Sport-Direktor und zwei andere Top-Funktionäre neben Paterno sind wegen Mitwisserschaft und Untätigkeit entlassen worden. Der Gouverneur von Pennsylvania kündigte eine Generaluntersuchung an, Präsident Barack Obama spricht von einer „herzzerreißenden“ Tragödie, die zum Innehalten zwinge. 1000 Studenten der „Penn State“ gingen aus Protest auf die Straße, es kam zu vereinzelten Krawallen. Paterno hat sich einen Top-Anwalt genommen und schweigt.