Bonn. Sie sind jung, sie sind verliebt und seit anderthalb Jahren ein Paar. Doch Larissa E. und Andreas R. haben noch nie miteinander geschlafen. Sie wollen mit dem Sex warten - bis zur Hochzeitsnacht.

Seit anderthalb Jahren sind sie ein Paar. Sie sind jung, studieren, leben in eigenen Wohnungen. Sie sind verliebt, aber sie haben noch nie miteinander geschlafen. Larissa E., 23, und Andreas R., 22, wollen mit dem Sex warten, bis sie verheiratet sind. In einer Zeit der scheinbar grenzenlosen sexuellen Freiheit haben sie sich Fesseln angelegt. Sie leben ihre Liebe wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Fügen sich Konventionen, gegen die unsere Eltern erfolgreich rebelliert haben.

Larissa und Andreas kennen die Palette der Reaktionen: Spott manchmal, Unverständnis meistens, im besten Fall Erstaunen. Kein Sex vor der Ehe – das klingt nach religiösem Mief und Verklemmtheit. Dogmatische Moralapostel oder Blaustrümpfe vermutet man hinter diesem Bekenntnis. Menschen, die alten Zöpfen nachtrauern, die längst abgeschnitten sind. Larissa und Andreas müssen häufig gegen diese Vorurteile ankämpfen. „Wir haben ein ganz normales Studentenleben“, sagt Andreas. An den Wänden der WG-Küche kleben wie zum Beweis die üblichen Party-Bilder und Karten mit frechen Sprüchen. Larissa wohnt in Bonn mit zwei anderen Studentinnen zusammen. „Sie können meine Einstellung nicht nachvollziehen, aber sie respektieren sie."

„Wir achten darauf, nicht zu weit zu gehen“

Beide wirken weder bieder noch weltfremd. Larissa ist eine hübsche Frau mit großen braunen Augen und Pferdeschwanz. Sie redet gerne, lacht viel. Andreas ist sportlich, ein bisschen zurückhaltender. Hier und da bremst er seine Freundin in ihrem Redefluss. Einzelheiten aus ihrem Liebesleben wollen sie nicht preisgeben, das haben sie von Anfang an klar gemacht. Wo ziehen sie die Grenze? Welche Zärtlichkeiten sind erlaubt? „Natürlich gab es schon schwierige Situationen. Aber wir achten darauf, nicht zu weit zu gehen. Und wir sprechen darüber“, sagt Andreas.

Kennengelernt haben sie sich bei der Generation Benedikt, einem Netzwerk junger Katholiken. Ihr Vorbild ist Papst Benedikt XVI., dem sie auch beigesprungen sind, als er in der Debatte um die Piusbrüder unter Druck geraten war. Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner nannte sie einmal die „Dolmetscher des Papstes“. In der Generation Benedikt würden die meisten Sex vor der Ehe ablehnen, sagt Andreas. Aber es gebe auch Mitglieder, die anders leben. Und das werde akzeptiert.

Angst vor Enttäuschungen

Larissa und Andreas sind in katholisch geprägten Elternhäusern aufgewachsen. Sie waren Messdiener, gehen sonntags regelmäßig in die Kirche. Enthaltsamkeit vor der Ehe war einer der Grundsätze, die ihnen ihre Eltern vermittelt haben. „Irgendwann hat man das natürlich hinterfragt und für sich selbst bestätigt oder nicht“, sagt Larissa. Sie war überzeugt, ihr Bruder dagegen nicht.

Wahre Liebe wartet

Seit 1994 gibt es in Deutschland die Organisation „Wahre Liebe wartet“.

Ihre Mitglieder verpflichten sich öffentlich zur Enthaltsamkeit vor der Ehe. Entstanden ist die Bewegung in den USA, wo angeblich schon über zwei Millionen Jugendliche ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben. Nach Angaben der Initiatoren zählt die Initiative in Deutschland, Österreich und der Schweiz etwa 15.000 Anhänger. Larissa und Andreas gehören nicht dazu. „Wir brauchen kein Gelübde“, sagt Andreas.

„Doch die Kirche ist nicht der Hauptgrund für meine Entscheidung“, sagt Larissa. „Wenn ich mit jemandem schlafe, ohne mit ihm verheiratet zu sein, schwingt immer ein ‚Aber’ mit. Das Warten ist dagegen ein viel größerer Liebesbeweis. Es zeigt, dass man sich für den anderen unabhängig von dieser sexuellen Komponente entscheidet.“ Wenn man keinen Sex hat, konzentriere man sich viel stärker auf die Persönlichkeit des Partners, sagt Andreas. Doch man spürt bei beiden auch die Angst vor Enttäuschungen. „Beim Sex werde ich verletzlich. Es kann sein, dass ich mehr gebe, als ich empfange. Die Ehe ist dagegen ein geschützter Rahmen. Da geben beide gleichviel“, sagt Larissa. Auch Andreas ist überzeugt: „In der Ehe ist die Gefahr wesentlich geringer, dass der Sex nur der Befriedigung des Triebs dient.“

„Liebe und Sex sind untrennbar“

Zweifel an ihrem selbstauferlegten Sex-Verbot wischen Larissa und Andreas mit wenigen Sätzen beiseite. „Wenn man Angst hat, etwas zu verpassen, ist das nur die Angst, sexuell etwas zu verpassen. Dann trennt man die Lust von der Liebe. Aber Liebe und Sex sind für mich untrennbar“, sagt Andreas. Auch auf das Katze-im-Sack-Argument hat Larissa die passende Antwort: „Sexuelle Probleme haben immer mit mangelnder Kommunikation zu tun. Wir können sehr gut über alles miteinander reden. Deshalb mache ich mir keine Sorgen“ Die Befürchtung, dass sie zu schnell heiraten könnten, haben sie ebenfalls nicht. Über eine Hochzeit hätten sie noch nie gesprochen, sagt Larissa. Das sei im Moment auch noch kein Thema, da sie beide mitten im Studium stecken.

Vorher hatte jeder von ihnen bereits eine Beziehung. Larissa hat sie beendet, weil ihr Ex-Freund nicht warten wollte. „Leute, die viele sexuelle Erfahrungen machen, beneide ich nicht“, sagt sie. „Die haben einfach einen anderen Lebensstil, der zu mir nicht passen würde.“ Larissa und Andreas spüren die Fesseln nicht. Sie leben nur eine von zahlreichen Möglichkeiten, die sie haben als Mann und Frau im 21. Jahrhundert in Deutschland.

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