Essen. . Vor 150 Jahren hat der deutschen Physiker Johann Philipp Reis das Telefon erfunden. Die lange Erfolgsgeschichte ist eng mit der Telefonzelle verbunden. Aber im Handy-Zeitalter kämpft sie um das Überleben.

Sie sind so herrlich nostalgisch und schön gelb. Okay, schön ist vielleicht übertrieben. Aber gelb, das sind sie wirklich, postgelb. Die Telefonzellen, dieses bedeutende Kapitel in der 150-jährigen Geschichte des Fernsprechers. Man hat ja so viel in ihnen erlebt. Hinter den oft beschlagenen Scheiben ging es auf ei­nem Quadratmeter Grundfläche um das ganze Leben. Herzklopfen beim heimlichen Anrufen des Schwarms. Hektik beim Ferngespräch, weil die Groschen ausgingen. Warme Worte von der See beim Urlaubsgruß an die Oma. Und dazu immer der Geruch von kalten Zigaretten.

Für die meisten Menschen sind diese Erlebnisse Geschichte, seit sich der natürliche Feind der Telefonzelle so schnell vermehrt hat: das Handy. Es hat den großen Kasten verzichtbar gemacht. Ausgestorben ist die Telefonzelle deshalb nicht, nur muss man heute länger nach ihr suchen.

Ein Exemplar steht am Ostwall in der Dortmunder Innenstadt. Die Fußgängerzone liegt nebenan, hier laufen viele Passanten vorbei. Und das ist der Punkt: Sie laufen vorbei. Ewig geht keiner rein an diesem sonnigen Vormittag. Um zehn nicht, um halb elf nicht und um Viertel vor elf auch nicht. Endlich, nach fast einer Stunde, hält ein Radfahrer. Er muss telefonieren, lehnt sich an die Scheiben – und zieht ein Handy aus der Tasche.

Es gibt noch rund 60 000 Telefonzellen in Deutschland

Derzeit gibt es laut Telekom-Sprecherin Katja Werz noch rund 60 000 Telefonzellen in Deutschland. Häufig stehen sie an Bahnhöfen, Einkaufsstraßen, Ärztehäusern und dort, wo sich Touristen aufhalten. Katja Werz sagt: „Wir halten eine Grundversorgung aufrecht.“ Allerdings werden seit den 90er-Jahren immer mehr Exemplare der alten Gelben abgebaut. Entweder ganz, weil sie zu selten genutzt werden, als dass sich 100 Euro Betriebskosten im Monat lohnen würden. Oder sie werden ge­gen grau-magenta-farbene Stationen ausgewechselt.

1904 gab’s die Erste

Wie viele Telefonzellen es in der Spitze einmal waren, kann die Telekom nicht sagen. Aber deutlich mehr als heute. Was logisch erscheint, denn inzwischen besitzt, laut Statistik, jeder Deutsche mehr als ein Mobiltelefon. Da kann die Telefonzelle nicht mithalten. Sie ist einfach zu sperrig für die Hosentasche.

Die erste öffentliche Telefonzelle wurde 1904 in Berlin aufgestellt. Sie war eine Sensation. Was man mehr als 100 Jahre später von dem Nachfahren am Dortmunder Ostwall nicht behaupten kann. Doch nach einer weiteren halben Stunde Beobachtungszeit passiert das Unglaubliche: Ein Mann geht hinein. Es muss ein Nostalgiker sein. Friedemann Eberhardt, 40 Jahre, Klavierlehrer, Handy-Gegner. „Ich wollte spontan meine Schwester zu einem Kaffee einladen“, sagt er. Ein mobiles Telefon rechtfertige das nicht. „Ich will nicht immer erreichbar sein.“

„Die Telefonzelle ist kein Tot-Thema“

Die Telekom sagt, Telefonzellen seien heute vor allem für Ausländer interessant, die kein deutsches Handy haben, oder für Handy-Besitzer, die ihr Guthaben schonen wollen oder deren Akku leer ist. Daneben versucht die Telekom, ihre Häuschen interessanter zu machen. Aus Telefonzellen werden Multimedia-Terminals mit Hot Spots, die einen Internetzugang ermöglichen, Fahrpläne können abgerufen werden oder die Internetseiten der Kommunen. Und Kurznachrichten wie bei einem Handy kann man von hier verschicken. „Die Telefonzelle ist kein Tot-Thema“, sagt Katja Werz von der Telekom. Klavierlehrer Friedemann Eber­hardt würde ihr Recht geben.