Paris. In Paris hat ein Schwurgericht den deutschen Arzt Dieter Krombach zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er soll vor 30 Jahren seine Stieftochter Kalinka umgebracht haben. Das Urteil ist ein Schlussstrich unter einem deutsch-französischen Justizkrimi.

Beim Verlassen des Pariser Justizpalastes verliest André Bamberski seine Erklärung. „Gerechtigkeit ist hergestellt, nun kann ich trauern“, sagt er. Es ist ein Augenblick des stillen Triumphs. Bald 30 Jahre hat der 74-Jährige dafür gekämpft, dass der Kardiologe Dieter Krombach (76) hinter Gitter kommt. An diesem Samstagabend wähnt er sich endlich am Ziel. Das Schwurgericht hat den Deutschen zu 15 Jahren Haft verurteilt – wegen der Tötung der 14 Jahre alten Stieftochter Kalinka Bamberski im Sommer 1982.

Nachdem in Deutschland ein Ermittlungsverfahren gegen Dieter Krombach eingestellt worden war und die Bundesrepublik den Arzt nicht an Frankreich auslieferte, hatte Bamberski den Arzt 2009 nach Frankreich entführt.

"Das Urteil ist inakzeptabel", sagt der Verteidiger

Die „Akte Kalinka“ ist einer der spektakulärsten Kriminalfälle in der deutsch-französischen Justizgeschichte – aufwühlend, kompliziert, undurchsichtig. Ein Fall, in dem das letzte Kapitel selbst nach dem Urteil vom Samstag immer noch nicht geschrieben ist. Yves Levano, Krombachs Anwalt, kündigt an, in Berufung gehen zu wollen: „Das Urteil ist inakzeptabel, Kalinkas Tod bleibt weiterhin ein Rätsel.“

Was geschah in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1982? Für André Bamberski ist die Faktenlage eindeutig. Krombach habe Kalinka in seinem Haus in Lindau (Bodensee) betäubt, vergewaltigt und dann umgebracht. Auf Mord lautete zunächst die Anklage im Pariser Prozess. Doch nachdem Dutzende Zeugen, Gutachter, Polizisten, Krombach-Opfer und Familienangehörige, ausgesagt haben, stufen sowohl der Ankläger als auch das mit neun Geschworenen und drei Richtern besetzte Gericht die Tat herunter – auf „vorsätzliche Körperverletzung mit unbeabsichtigter Todesfolge“.

Mehrfach verurteilt

Bis zu dem schrecklichen Ereignis 1982 war Krombach ein angesehener Mediziner. Erst Jahre später wird sich herausstellen, dass sich hinter der Fassade des Biedermanns offenbar ein anderer verbirgt: ein sexbesessener Scharlatan mit einer Vorliebe für Teenager und junge Frauen.

1997 verurteilte ein Gericht ihn zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe, weil er in seiner Praxis eine minderjährige Patientin betäubt und vergewaltigt hatte. Schon zehn Jahre zuvor, 1985, ein ähnlicher Fall: Krombach verbrachte seinen Osterurlaub in Südfrankreich mit zwei Mädchen, die erst 14 und 15 Jahre alten Töchter einer Patientin. Die Zeuginnen beschrieben ihn jetzt als Mann mit zwei Gesichtern: hier der fürsorgliche Vaterersatz, der sie mit Geschenken überhäufte – dort der Dämon, der Betäubungsspritzen setzte und vergewaltigte. Selbst mit der Tochter eines Nachbarn hatte Krombach ein Verhältnis.

Eisenpräparat gegen Blutarmut

Krombach bestätigt im Prozess, dass er der Stieftochter am Abend des 9. Juli ein Eisenpräparat (Kobalt-Ferrlecit) gespritzt hat wegen angeblicher Blutarmut.

Für die Staatsanwaltschaft steht fest, dass Krombach Kalinka an jenem Abend vergewaltigen wollte, als ihre Mutter schlief. „Aber diesmal ist ihm die Kontrolle entglitten“, sagt Pierre Kramer, der Ankläger. Womöglich war Kalinka so schockiert, dass sie erbrach und erstickte.

Der ehemalige Arzt Dieter Krombach beteuert im Schlusswort abermals seine Unschuld. Mit brüchiger, fast flehender Stimme sagt er: „Ich hatte niemals sexuelle Beziehungen zu meinen Töchtern, auch nicht zu meiner Stieftochter.“