Paris.. Im Juli 1982 wurde die 14-jährige Kalinka Bamberski im Haus ihres Stiefvaters, Dieter Krombach, am Bodensee tot aufgefunden. Ihr leiblicher Vater ist davon überzeugt, dass Krombach seine Tochter getötet hat. Dem 76-Jährigen wird in Paris der Prozess gemacht.

Um 10.20 Uhr betritt der Angeklagte Dieter Krombach den in heller Eiche gehaltenen Gerichtssaal in Paris. Der 76-jährige Herzspezialist ist wackelig auf den Beinen. Mit der Krücke am linken Arm tastet er sich in dem engen Kasten aus gepanzertem Glas mühsam zur Anklagebank. Der Kardiologe trägt einen schwarzen Blazer, ein weißes Hemd und weiße Turnschuhe. Seine Stimme ist brüchig.

An diesem Dienstag wird im Pariser „Palais de Justice“ ein weiteres Kapitel im Kriminalfall Kalinka aufgeschlagen. Es ist ein scheinbar endloses Justizdrama, in dem die französische Justiz beweisen will, dass Krombach seine Stieftochter Kalinka getötet hat.

Der Prozess, zweiter Akt: Eigentlich hatten sie schon in diesem Frühjahr den Schlussstrich ziehen wollen. Doch schon nach wenigen Verhandlungstagen musste das Verfahren auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden. Der unter Herz- und Kreislaufproblemen leidende Angeklagte war schwer erkrankt. Bis zum 21. Oktober will das Pariser Schwurgericht nun aufs Neue versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen.

Mysterium und Politikum zugleich

Es ist ein Fall, der bald 30 Jahre zurückliegt. Am 10. Juli 1982 lag die 14 Jahre alte Kalinka Bamberski im Hause ihres Stiefvaters tot im Bett. In Lindau am Bodensee, wo Kalinkas Mutter in zweiter Ehe mit Dieter Krombach lebte, wollte das kerngesunde Mädchen eigentlich seine Sommerferien verbringen.

Um ihren Tod ranken sich zahlreiche Spekulationen. Er ist Mysterium und Politikum zugleich. Denn während die deutsche Justiz das Ermittlungsverfahren gegen den Kardiologen schon in den 80er Jahren aus Mangel an Beweisen einstellt, verurteilt ihn ein Pariser Gericht 1995 – in Abwesenheit – zu einer fünfzehnjährigen Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Da die deutsche Justiz den Haftbefehl jedoch nicht anerkennt, bleibt Krombach auf freiem Fuß.

Zeugen verstorben

Aber nur bis zum Herbst 2009. Denn da schlägt Kalinkas leiblicher Vater André Bamberski buchstäblich zu. Der Franzose, fest davon überzeugt, dass Krombach seine Tochter vergewaltigt und dann mit einem Eisenpräparat totgespritzt hat, praktiziert auf spektakuläre Weise Selbstjustiz. Er heuert Entführer an, die den Deutschen verprügeln, ihn über die Grenze verschleppen und in Mulhouse neben einer Polizeiwache absetzen.

Wird das Pariser Gericht unter dem Vorsitz von Richterin Xavière Simeoni nun endlich die Frage klären können, unter welchen Umständen Kalinka zu Tode kam? Die Wahrheitsfindung dürfte sich in den nächsten drei Wochen als eine äußerst schwierige Gratwanderung erweisen. Denn am Dienstag sah sich das Gericht mit der heiklen Tatsache konfrontiert, dass etliche Schlüsselzeugen, wie etwa damalige Gerichtsmediziner und Gutachter, entweder krank oder verhindert sind.

Andere Zeugen, darunter der damals ermittelnde Kommissar, sind inzwischen verstorben. Ein Prozess ohne Zeugen steht jedoch auf tönernen Füßen. Bleiben am Ende womöglich so viele Fragezeichen, dass das Gericht den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ anwenden muss? Auf der Vorsitzenden Richterin lastet ein gewaltiger öffentlicher Druck. Spricht sie Krombach frei, provoziert sie in Frankreich einen schweren Justizskandal. Die Verteidiger Krombachs wiesen vor Prozessbeginn erneut auf den angegriffenen Gesundheitszustand ihres Mandanten hin. „Wir sind sehr beunruhigt“, hieß es.