Essen. Vor 25 Jahren kletterte Reinhold Messner auf den Lhotse und war damit der erste Mensch, der alle Achttausender schaffte. Ein Interview mit einem extrem selbstbewussten Menschen, der als größter Bergsteiger aller Zeiten gilt.
Er gilt als der größte Bergsteiger aller Zeiten. Ohne Sauerstoff, ohne großen Tross, oft im Alleingang war Reinhold Messner der erste Mensch, der alle 14 Achttausender unter sich liegen sah. Am 16. Oktober 1986 machte der heute 67-jährige Südtiroler mit der Besteigung des 8516 Meter hohen Lhotse das Maß voll.
Herr Messner, spätestens nach dem 14. Achttausender ohne Sauerstoff sind Sie weltberühmt geworden. Wie ordnen Sie das ein Vierteljahrhundert später ein?
Die Summe der Achttausender ist bergsteigerisch gesehen das Unwichtigste, was ich je in meinem Leben getan habe. Ich lebe nicht von Jubiläen und gestrigen Erfolgen, sondern von dem, was ich jetzt mache und in Zukunft machen will. Ich meine das emotional. Mir gibt das, was ich jetzt gestalte, Kraft und Lebensfreude und nicht das, was ich vor 25 Jahren zufällig zu Ende gebracht habe. Ich hatte damals schon wieder ganz neue Ideen, zum Beispiel, die Antarktis zu durchqueren.
Wenn die Achttausender alpinistisch so unwichtig für Sie waren, was hatte denn eine besonders hohe Bedeutung für Sie?
Einzelne, revolutionäre Besteigungen und Ideen, die ich verwirklichen konnte. Ich habe ja nicht alles geschafft, etwa die Hälfte meiner Vorhaben sind gescheitert. Mir geht es am Ende nicht um den Erfolg nach außen, sondern um die Erfahrung, die ich nach innen mache. Und die Geschichte an der Rupalwand des Nanga Parbat ist mir wichtiger als alle Achttausender zusammen genommen, so tragisch das damals war. (Bei der Überquerung des Nanga Parbat 1970 kam Reinhold Messners Bruder Günther 1970 ums Leben, Anm. d. Red.)
Der Everest ohne Maske – gegen alle Bedenken aus der Wissenschaft realisiert, die sagte, das sei nicht überlebbar – ist mir auch wichtiger als die letzten Achttausender.
Und wahrscheinlich auch Ihre erste Klettertour auf den Sas Rigais der Geislerspitzen in den Dolomiten. Mit fünf Jahren einen Dreitausender, können Sie sich noch erinnern, wie sich das anfühlte?
Beim Sas Rigais war das Verhältnis kleiner Bub zum großen Berg stärker als später beim Mount Everest. Als Kind habe ich gar nicht glauben wollen, dass ich da wirklich oben war, auf dem riesigen Berg, der über mir aufragte.
Wenn man heute in diese Berge oberhalb des Grödnertals geht, ist dort nicht zu viel Rummel, gibt es da überhaupt noch die vielbeschworene Einsamkeit der Berge?
Es ist ein Massentourismus entstanden, der es möglich macht, dass völlig unerfahrene Leute dorthin gehen, wo sie nicht hingehören. Dort wo der Mensch immer war, dort soll er auch weiterhin aktiv bleiben. Dort soll auch Tourismus möglich sein. Er soll seine Landschaft nutzen, wie er es immer getan hat. Oberhalb der Grenze, wo man früher nicht hinging, sollte keine Infrastruktur entstehen. Was dann in Eigenregie darüber hinausgeht, das hat nichts mit Massentourismus zu tun. Der Berg trägt in sich den Gartenzaun, über den nicht jeder springen will und kann. Die Touristikunternehmen aber glauben, dass man den Bergen einen Gewinn abjagen kann, wenn man sie bis in den letzten Winkel erschließt.
Sie haben aber selbst im Jahr 2003 Trecking zum Mount Everest angeboten. Ist das nicht der Anfang des Massentourismus?
Beim Everest-Trecking ist nur der letzte Tag vor dem Basislager ein Hineingehen in die Wildnis. Die Sherpas haben sehr wohl das Recht, ihre Kulturlandschaft auch touristisch zu nutzen. Dort findet kein Massentourismus statt. Garmisch-Partenkirchen allein hat mehr Tourismus pro Jahr als ganz Nepal.
Welche Herausforderungen meistern Sie heute, mit 67?
Ich war im Sommer mit meinem Sohn klettern, in der Langkofel Nordwand zum Beispiel. Jetzt fahre ich nach Mexiko und besteige einige heilige Berge. In den letzten 15 Jahren habe ich mich stark für meine fünf Museen engagiert. Dort erkläre ich auch Menschen, die nie auf etwas Höheres geklettert sind als auf einen Barhocker, was der Berg für den Menschen bedeutet. Das Messner Mountain Museum ist heute das erfolgreichste Bergmuseum weltweit.