Turin. In Italien stehen sechs Thyssen-Krupp-Manager vor Gericht, der Hauptangeklagte kommt aus Essen. Sie sollen einen schweren Brandunfall im Turiner Stahlwerk zu verantworten haben, bei dem sieben Arbeiter ums Leben kamen. Die Stimmung gegen die Deutschen ist feindselig.

Ein Hauptverantwortlicher und fünf leitende Mitarbeiter des Thyssen-Krupp-Konzerns müssen sich in Turin für einen folgenschweren Brandunfall verantworten. Sieben Menschen starben vor knapp zwei Jahren in dem Stahlwerk.

Das Gerichtsgebäude im norditalienischen Turin, wo seit Jahr und Tag über Menschenschicksale entschieden wird, ist ein schöner roter Klinkerbau. An diesem Dienstag findet dort der „Tag der Deutschen” statt, schreiben italienische Zeitungen.

Auf der Anklagebank: Der Essener Harald Espenhahn (43), Hauptverantwortlicher der inzwischen geschlossenen Turiner Niederlassung des Thyssen-Krupp-Konzerns und Chef des dortigen Stahlwerks, wo am 5. Dezember 2007 ein furchtbarer Brandunfall sieben Menschenleben forderte. Sicherheitsmängel seien mitverantwortlich für den Unfall gewesen, behauptet die Staatsanwaltschaft. Die Feuerlöscher seien leer gewesen, kritisieren Gewerkschafter. Deswegen ist Espenhahn wegen „Tötung mit bedingtem Vorsatz” angeklagt. Ein Vorwurf, der in Italien nie zuvor im Zusammenhang mit Betriebsunfällen verwendet wurde. Bis zu 21 Jahre Gefängnis stehen darauf.

Wegen fahrlässiger Tötung angeklagt

Weitere fünf leitende Mitarbeiter des Stahlkonzerns müssen sich wegen fahrlässiger Tötung vor dem Schwurgericht verantworten. Espenhahn und sein deutscher Kollege Gerald Priegnitz sollten am Dienstag aussagen. Soweit kommt es dann aber doch nicht. Und so wird dieser „Tag der Deutschen” zum vielleicht ersten Erfolgserlebnis der Verteidigung. Seit Prozesseröffnung im Januar hat sie viele Nackenschläge hinnehmen müssen. Die meisten ihrer Forderungen wurden vom Gericht abgelehnt. Und das unter dem Beifall der Hinterbliebenen und einer feindselig gestimmten öffentlichen Meinung.

Ein Stahlarbeiter von ThyssenKrupp am Hopchofen. Foto: ddp
Ein Stahlarbeiter von ThyssenKrupp am Hopchofen. Foto: ddp © ddp

Auch am Dienstag geht es zunächst zu wie bei früheren Verhandlungsterminen. Das „Kollektiv piemontesischer Kommunisten” verteilt wie stets schon vor dem Eingang Flugblätter: „Basta mit Heucheleien, Basta mit Rechtfertigkeitsversuchen. Wenn ein Arbeiter stirbt, ist das immer die Schuld seines Chefs.” Drinnen nehmen die Hinterbliebenen ihre Plätze ein. Alle tragen T-Shirts mit Fotos der Verunglückten, von denen einige erst Tage und Wochen nach dem Unglück ihren Brandverletzungen erlagen. In der ersten Reihe sitzen die beiden deutschen Angeklagten mit ihren Verteidigern, lange bevor das Gericht die Verhandlung eröffnet.

Witwen, Mütter und Schwester der Opfer trauern

Espenhahn schaut sich ab und zu verstohlen um. Doch niemand wirft ihm heute böse Worte zu, wie das im ersten Schmerz der Angehörigen der Fall war, als sogar Beerdigungskränze der Unternehmensleitung voller Abscheu zerrissen worden waren. Inzwischen haben zwar alle die hohen Entschädigungssummen der Firma akzeptiert. Doch trauernde Witwen, Mütter und Schwestern von Opfern sehen es als ihre Pflicht an, nicht nur zu den Gräbern ihrer Lieben zu pilgern, sondern auch im Gerichtssaal dabei zu sein. „Die Schuldigen müssen bestraft werden, und auch in Deutschland muss man erfahren, was hier vorgegangen ist”, sagt die Tante eines Verunglückten. Sie will alle Angeklagten hinter Schloss und Riegel sehen.

Gleich zu Beginn gibt es eine Überraschung. Erst tritt Priegnitz, dann Espenhahn ans Mikrofon. Ersterer liest stockend, der Essener fließender eine Erklärung auf Italienisch vor. Sie seien ja zur Aussage bereit, sagen beide, doch nicht auf Italienisch, wie es das Gericht verlangt habe. Im Arbeitsalltag sprächen sie Deutsch und Englisch. Beide leugnen aber ihre Sprachkenntnisse nicht. Doch auf Italienisch vor Gericht sprechen zu müssen, das sei ganz was anderes. „Meine Verteidigung würde schwer beeinflusst werden von meinen Schwierigkeiten, zu verstehen und mich auszudrücken”, sagt Espenhahn.

Beide kündigen daher ihre Bereitschaft an, auf die Anklagepunkte schriftlich zu antworten. Und schon zieht sich das Gericht zur Beratung zurück. Seine Entscheidung: Bis zum 4. November wird ein Dolmetscher benannt. Aufatmen bei den Beschuldigten, Siegerlächeln bei Verteidiger Ezio Audisio.

Zeugen bestätigen Linie der Unternehmensleitung

Doch haben er und die anderen Verteidiger noch mehr Anlass sich zu freuen. Nach über 100 Zeugen der Anklage, die in den letzten Monaten vor Gericht fast nur die Angeklagten belasteten, kommen jetzt die von ihnen geladenen an die Reihe. Es sind drei Mitarbeiter der Linie fünf des Turiner Werks, wo der Unfall passierte. Sie berichten detailliert, wie Feuer gelöscht wurde, wenn bei der Arbeit ein Brand ausbrach.

Fotos werden ihnen vorgelegt, und sie müssen mit dem Finger zeigen, welche Notstandssignale sie bei Gefahr drückten, und was dann passierte. Alle beteuern, mehrfach in Brandbekämpfungsmaßnahmen geschult worden zu sein. Zeuge Antonino Miceli, der nervös wirkt, verwickelt sich zwar in Widersprüche. Im Prinzip bestätigen aber alle die Linie der Unternehmensleitung. Diese will von erhöhtem Brandrisiko an der Linie fünf nie etwas gewusst und auch von der zuständigen Versicherung keine diesbezüglichen Hinweise erhalten haben.