Rom. Der Prozess um einen tödlichen Brandunfall im Turiner ThyssenKrupp-Werk begann in Italien. Ein deutscher Manager ist vor dem Schwurgericht angeklagt wegen „Tötung mit bedingtem Vorsatz”.

Lange vor neun Uhr, dem angesetzten Prozessbeginn, strömen hunderte Zuschauer in das Justizgebäude von Turin. Bald wird ein zweiter Saal geöffnet, dort das Geschehen auf einen Bildschirm übertragen. Es geht um den Brandunfall mit sieben Toten vom 5. Dezember 2007 im Stahlwerk ThyssenKrupp in Turin. Sechs leitende Mitarbeiter, darunter Vorstandsvorsitzender Harald E. aus Essen und ein weiterer Deutscher, müssen sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Und das sogar vor dem Schwurgericht – in Italien hat es das im Zusammenhang mit Betriebsunfällen nie zuvor gegeben.

Das Klima ist spannungsgeladen. Es gibt die Proteststimmung wieder, die dem Unfall gefolgt war. Kundgebungen und Trauermärsche hatte es landesweit gegeben. Und bei Beerdigungen der Opfer waren Kränze der Firmenleitung voller Zorn zerrupft worden.

„Ins Gefängnis gehören die Angeklagten”, sagt jetzt auch wieder Rosina De Masi, Mutter eines der Brandopfer: „Und mir tut nur leid, dass sie wahrscheinlich kein Lebenslänglich bekommen.” Dann setzt sie sich zwischen weitere Hinterbliebene von Opfern und Kollegen ihres Sohnes. Viele tragen Fotos der tödlich Verunglückten auf weißen T-Shirts. Weil das Werk geschlossen und seine Produktionsbänder größtenteils ins mittelitalienische Terni verlegt werden sollten, habe die Unternehmensleitung bewußt Sicherheitsmängel und damit erhöhte Gefahr für die Arbeiter in Kauf genommen. Dies meinen die Familien und auch Kollegen der Opfer. Dabei geht es insbesondere um ein nicht funktionierendes Notruftelefon und leere Feuerlöscher. Staatsanwalt Raffaello Guariniello (67), der die öffentliche Anklage vertritt, hatte das schon in seiner Voruntersuchung aufgegriffen. Längst sitzt er an diesem Donnerstag auf seinem Platz. Anwesend sind nur zwei italienische Angeklagte und natürlich die Verteidiger.

Bis zu 21 Jahre Haft

Harald E., dem als Topmanager auch „Tötung mit bedingtem Vorsatz” vorgeworfen wird, worauf in Italien bis zu 21 Jahre Haft stehen, ist bisher nur durch seinen Anwalt Ezio Audisio vertreten. Sein Mandant sei „absolut außenstehend”, habe nicht solche Verantwortung gehabt, die den schwerwiegenden Vorwurf gegen ihn rechtfertigen würde, meint er. Mit 175 Gegenzeugen will die Verteidigung das beweisen.

Das Gericht – zwei weibliche Richter und sechs Geschworene, unter diesen nur ein Mann – hat rund 90 Zeugen geladen. An diesem Eröffnungstag präsentiert es sich mit zweieinhalb Stunden Verspätung. Mit gutem Grund: Drei Geschworene mußten ersetzt werden. Sie hatten am Vortag einer Turiner Zeitung Interviews gegeben.

Als erstes an diesem ersten Prozesstag melden sich 31 Facharbeiter des inzwischen geschlossenen Turiner Werks zu Wort; sie wollen als Zivilkläger zugelassen werden. Schon bald darauf tritt das Gericht zur Beratung zurück, um über die Zulassung von Foto- und TV-Aufnahmen im Gerichtssaal zu entscheiden. Kurz nach 14 Uhr verkündet Gerichtsvorsitzende Maria Iannibelli den positiven Beschluß: Schließlich würden Dinge von „sozialer Bedeutung und schwerwiegende Fakten” behandelt, die rechtfertigten, dass die Bürger sie mitverfolgen könnten. Indirekt eine erste Niederlage für die Verteidigung, die lieber den Ausschluss audiovisueller Medien gesehen hätte.

Nächster Verhandlungstermin ist der 22. Januar.