Essen. . Die britische Sängerin Adele ist die derzeit erfolgreichste Popmusikerin des Planeten. Dafür braucht sie keine Schock-Auftritte à la Lady Gaga. Ihr reichen die Musik und ihre Stimme.
Nun ist es keinesfalls so, dass Adele Laurie Blue Adkins gleichsam über Nacht zum aktuell erfolgreichsten Popmusik-Menschen des Planeten geworden wäre. Nein, sie war schon seit einer Weile da, und man nahm auch durchaus Notiz von ihr. Für ihr erstes Album „19“ bekam Adele beispielsweise zwei „Grammy“-Auszeichnungen in den USA, während die britische BBC sie schon vorab zum größten Talent des Jahres 2008 erkoren hatte.
Den alles andere in den Schatten stellenden, überwältigenden, Rekorde brechenden und eine staunende Öffentlichkeit hinterlassenden Erfolg, den feiert Adele, inzwischen 23, aber erst mit ihrem zweiten Album „21“, das Ende Januar dieses Jahres veröffentlicht wurde. Selten hat eine einzelne Künstlerin über Monate hinweg eine solche Dominanz auf die Verkaufslisten in aller Welt ausgeübt wie Adele. „21“ ist das mit erheblichem Abstand meistverkaufte Album des Jahres. Laut ihrer Plattenfirma hat sich „21“ in rund sieben Monaten nun knapp 10 Millionen-mal verkauft (zum Vergleich: Lady Gagas „Born this Way“ kommt auf etwa 4 Millionen Exemplare). Und im Schlepptau von „21“ erlebte auch „19“ einen verspäteten Boom. So ist unter allen zum Zeitpunkt des Erfolgs noch lebenden Künstlern sie die erste seit den Beatles, die in Großbritannien gleichzeitig zwei Alben und zwei Singles in den Top Five der Charts platzieren konnte.
Kein Meilenstein
Wieso? Wieso Adele? Wieso gerade jetzt? „Weil sie einfach sehr gute Musik macht“, sagt ihr Plattenfirmenboss Richard Russell. Allerdings: Das tun andere auch. „Weil sie eine unglaubliche Sängerin ist“, sagt Rick Rubin, ihr berühmter Produzent, den Adele sich ausgesucht hatte, weil das von Rubin produzierte Red-Hot-Chili-Peppers-Album „Californication“ die Lieblingsplatte ihrer frühen Jugend war. Rubin weiter: „Sie legt in ihre Liedern ihre Gefühle frei. Ihre Musik ist sehr rein und sehr roh. Sie benutzt keine Tricks, keine Gimmicks. ,21’ ist ein unheimlich ehrliches Album.“
Doch ist „21“ wirklich ein musikalischer Meilenstein? Eher nicht. Natürlich singt sie grandios, natürlich stimmt das Songmaterial und natürlich reißt Adeles abwechslungsreicher Blauaugensoul die Menschen mit. Trotzdem ist „21“ kein revolutionäres, sondern ein gefälliges, höchst solide gemachtes Album. Sie setzt keinen musikalischen Trend, sondern führt den Weg fort, den vor ihr Amy Winehouse einschlug. Weiß sie selbst auch. „Amy hat die Leute daran erinnert, dass es Frauen gibt, die echt sind und singen können. Sie war die erste Frau seit langem, die als Künstlerin ernst genommen wurde. Sie hat die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt.“ Nun ist Winehouse tot und deshalb makabererweise die erste Frau seit langem, die Adele vom ersten Chartplatz verdrängen konnte.
So wie ihre Fans
Den ganz großen Nerv trifft Adele bei Frauen jungen und mittleren Alters. Sie singt darüber, wie Männer sie verarscht und beschissen haben. Ihr Körper ist vergleichsweise voluminös, bis vor kurzem rauchte sie viel, trinkt gerne einen und liegt am liebsten Fernseh guckend auf dem Sofa. Ergo: Adele ist so wie die meisten ihrer Fans.
Die Musikindustrie feiert Adele als Gegenentwurf zur ultrakrassen, von Lady Gaga angeführten Fraktion der Popsuperstars, bei denen extreme Outfits und schockierende Auftritte Teil der Vermarktungsstrategie sind. Adkins dagegen bestreitet ihre Konzerte meist im schlichten schwarzen Kleid und stellt ihre Stimme in den Vordergrund.
Und weiter? Bei der „Grammy“-Verleihung wird sie abräumen ohne Ende. Bis dahin bleibt die Erkenntnis, dass sich der Erfolg der Adele Adkins nicht bis ins letzte Detail erklären lässt. Und genau das ist das Schöne an diesem Triumph.