Mönchengladbach.. Gewalt gegen Frauen ist ein großes Thema. Gewalt von Frauen weniger, obwohl die Zahl der weiblichen Verdächtigen in der Kriminalistätsstatistik für Körperverletzungen deutlich steigt. Jetzt gibt es in NRW erstmals Anti-Gewalt-Training für Frauen.

Man darf wohl unterstellen, dass aus dem Büro des Landgerichtspräsidenten von Mönchengladbach bisher selten Kampfgeräusche drangen und wildes Feldgeschrei wie „Was willst du überhaupt von mir?“ oder „Hallo, können Sie mir helfen?“ Dienstag aber war es so: rangelnde Frauen zwischen Ledersesseln, Schubser und Klammergriffe vor moderner Kunst – aber wenn es halt dem guten Zweck dient.

Die geballte Ordnungsmacht, Polizei und Staatsanwaltschaft, Gericht und Bewährungshilfe stellten nämlich ein Projekt vor, das in Nordrhein-Westfalen, anders als in Süddeutschland, noch eine echte Rarität ist: Anti-Gewalt-Gruppentraining für gewalttätige junge Frauen. Nach der Sommerpause soll es beginnen und nicht bei einem Durchgang bleiben, sondern weitergeführt werden; mit wechselnden Teilnehmerinnen, versteht sich.

„Frauen werden in der Gesellschaft immer noch nur als Gewaltopfer gesehen, prügelnde Frauen wirken, als kämen sie von einem anderen Stern“, sagt die Trainerin Silke Birx. Aber das bleibt nicht so: Seit Mitte der 90er-Jahre ist der Anteil gewalttätiger Frauen an allen Gewalttätern deutlich gestiegen, „von fünf auf über 20 Prozent“, sagt Bernd Geiger-Battermann, Jugendrichter in Viersen und Lehrbeauftragter für Strafrecht.

Gefährliche Körperverletzung

Gute Mädchen kommen in den Himmel. Böse Mädchen kommen überall hin. Sogar in die Kriminalstatistik.

1999 waren in Deutschland 14 Prozent derer weiblich, die einer Körperverletzung verdächtigt wurden, 2009 waren es 17 Prozent. In NRW ist die Zahl der weiblichen Verdächtigen zwischen 2001 und 2010 um 100 Prozent gestiegen, die der männlichen um 30 Prozent (wobei die Leute heutzutage viel schneller anzeigen als vor Jahren). „Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, räuberische Erpressung“ seien denn auch die wesentlichen Delikte „nach Gefühl und nach Akten“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Emil Brachthäuser.

Kursteilnahme als Bewährungsauflage

Und deshalb zeigt jetzt Silke Birx, die Trainerin, was die jungen Frauen in dem Kurs erwartet. Sie macht die im wahren Leben gänzlich unbescholtene Sophie Schuhmacher, eine Praktikantin bei der Bewährungshilfe, vorführungshalber ziemlich blöd an, packt sie an der Bluse: „Gib mir Deinen Schal!“ Keine Chance, wegzukommen, Handgemenge, Rauferei, Getöse – doch im nächsten Durchgang gibt es dann die gewaltfreie Lösung.

Schmusekurs geht anders, Kuschelpädagogik ist das nicht: Rollenspiele gehören zu dem Kurs, der Umgang mit Aggressionen, das Nachfühlen von Opfergefühlen, Übungen zu Teamfähigkeit und Selbstbewusstsein – Selbstbewusstsein schlägt nicht. Man wird die 18- bis 24-Jährigen Teilnehmerinnen auch nicht freundlich bitten, sondern die Kursteilnahme ist eine Bewährungsauflage. Süddeutsche Erfahrungen zeigten, dass die weibliche Rückfallquote nach so einem Kurs bei zehn Prozent liege, weit weniger als bei Jungen.

Meist selbst Gewalt erfahren

Die Gründe für die weibliche Gewalt sind nicht recht klar: So spricht der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes von „verschiedenen Erklärungsansätzen“. Die Gleichberechtigung führe „auch zu einer stärkeren Angleichung des abweichenden Verhaltens“. Eine andere nachvollziehbare Erklärung sei, „dass das Verhalten von jungen Mädchen zunehmend kritisch beobachtet wird, was zu einer stärkeren Bereitschaft führt, solche Straftaten anzuzeigen“.

Zwei Drittel der gewalttätigen Frauen hätten zuvor Gewalt am eigenen Leib erlebt, sagt Geiger-Battermann: etwa durch die Eltern – oder die Eltern schlugen einander. „Die Mädchen kommen überwiegend aus bildungsfernen Schichten“, prägend sei auch die Gruppe: „Mädchen in Jungengruppen sind besonders gefährdet, sie gucken sich das Verhalten ab und bekommen so ihren Respekt.“ Daher ist der ganze Kurs weiblich: Sie mit Jungen in einen Anti-Gewalt-Kurs zu stecken, wäre ausgesprochen widersinnig.