Essen. . Die Deutschen haben einen neuen unrühmlichen Titel: unwitzigste Nation der Welt. Im Gespräch mit DerWesten erklärt Humorforscher Rainer Stollmann, warum wir trotzdem witzig sind und worüber wir am liebsten lachen.
Schon wieder haben die anderen uns einen Dämpfer verpasst. In einer aktuellen Umfrage kürte die Mehrheit Deutschland zur unwitzigsten Nation der Welt. Das schmerzt selbst humorvolle Seelen. Ein alter Hut ist das. Einer, den wir einfach nicht abschütteln können. Rainer Stollmann erforscht seit Jahren unsere Humor-Kultur und hat dabei Erstaunliches festgestellt : Deutsche können doch lachen, vor allem wenn’s schmutzig wird. DerWesten sprach mit dem Kulturwissenschaftler der Universität Bremen über die großen Komiker der Deutschen und den kleinen Unterschied zwischen Mann und Frau.
Die Deutschen wurden in einer aktuellen Umfrage zur unwitzigsten Nation der Welt gewählt – zu recht?
Rainer Stollmann: Das ist die Macht des Vorurteils, dem die anderen Nationen aber auch wir selbst anhängen. Wenn Sie nur die Zeit nach 1945 betrachten, hat Deutschland eine Reihe von hervorragenden Komikern hervorgebracht, etwa Heinz Erhardt, Otto Waalkes, Helge Schneider und natürlich den großen Loriot. Zudem können die Deutschen im Fernsehen fast alle Komiker der Welt sehen. Während Loriot oder Otto in England und Frankreich völlig unbekannt sind. Das heißt, die Deutschen sind doch offensichtlich weltoffen und stark interessiert an Komik - und das sogar mehr als andere Völker.
Warum hält sich das Klischee vom bierernsten Deutschen trotzdem so lange?
Stollmann: Loriot hat man einmal dieselbe Frage gestellt. Er hat darauf geantwortet: Die Deutschen sind nicht humorloser als andere Nationen, nur die Trennung zwischen Ernst und Komik, zwischen Hochkultur und Populärkultur, ist in Deutschland schärfer. Das kann man leicht nachvollziehen, wenn man die größten deutschen Dichter Englands und Deutschlands miteinander vergleicht. Goethe ist eindeutig ernster als Shakespeare. Selbst Romeo und Julia kann man als Komödie spielen. In der deutschen Hochkultur gibt es dagegen keine Komödien-Tradition.
Worüber können die Deutschen denn am meisten lachen?
Stollmann: Merkwürdigerweise über Fäkal-Humor. Der Grund ist, dass wir über lange Zeit ein Bauernvolk waren. Das zeigt sich auch beim Fluchen: Wenn der Amerikaner ‚fuck’ sagt, sagt der Deutsche ‚Scheiße’. Wir haben eine andere Einstellung zur Sexualität als die puritanischen Amerikaner. Der Puritanismus schafft sich eher ein Ventil im sexuell Anzüglichen, wohingegen bei uns Fäkalien tabuisiert werden. Wenn wir Witze machen, wird dieses Tabu gebrochen.
Komiker wie Mario Barth locken Tausende zu ihren Auftritten. Die Comedian-Kultur boomt im Fernsehen und auf der Bühne. Haben wir da aufgeholt?
Stollmann: Das ist ein Stück der Amerikanisierung, die übers Fernsehen nach Deutschland importiert wird. Der Stand-Up-Comedian kommt teilweise aus Großbritannien, aber vor allem aus den USA. Woody Allen ist so berühmt geworden. Am Anfang seiner Karriere tingelte er von Club zu Club. Das Interessante an dieser Stand-Up-Comedy ist das Improvisieren. Einer, der damit eine ganz neue Tür aufgestoßen hat, ist Helge Schneider. Der geht auf die Bühne und weiß noch nicht, was er in den nächsten Sekunden erzählen wird.
In den 80ern und 90ern konnte man sich vor Manta- oder Ostfriesen-Witzen kaum retten. Heute hört man eher selten einen Witz. Woran liegt’s?
Stollman: Das Witze-Erzählen ist ein wenig aus der Mode gekommen. Das liegt daran, dass die Spaßkultur im Fernsehen stark gewachsen ist. Aber das kann auch wiederkommen. Solche Witz-Kulturen sind fast immer als Protest gegen einen Modernisierungs-Schub begründet. Da kommt etwas Neues auf uns zu, und wir greifen zurück auf etwas Bodenständiges oder Dumm-Naives. Hinter den Blondinen-Witzen steckt dagegen die Auflehnung gegen die Frauen-Emanzipation. Das sind alles im Grunde Macho-Witze. Die sind aufgekommen, weil Machos sich anders benehmen mussten, weil es plötzlich Frauenbeauftragt gab oder Gegenwehr gegen Anmache.
Wann ist ein Witz gut?
Stollmann: Wenn er eine wesentliche Angst der Menschen trifft und sie in Heiterkeit und Lachen auflösen kann. Lachen ist immer gegen Ängste, Furcht und Ärger gerichtet.
Sie sprachen bereits die machohaften Blondinen-Witze an. Lachen Männer über andere Dinge als Frauen?
Stollmann: Fast kein Komiker kommt ohne das Thema Geschlechterkampf aus. Da bieten sich schließlich viele schwache und sensible Stellen an, die man auf verschiedene Arten kitzeln kann. Loriot-Sketche drehen sich häufig um das Geschlechter-Verhältnis. Und Mario Barth lebt ja nur davon. Doch Frauen und Männer haben sich inzwischen soweit angenähert, dass sie über dieselben Dinge lachen können. Ganz klar ist aber: Wer kein Alphamännchen ist, muss die Frauen zum Lachen bringen. Diejenigen, die sowieso von den Frauen angehimmelt werden, haben’s nicht nötig. Aber der dürre, kleine Woody Allen musste Witze machen, um schöne Frauen kennenzulernen.
Von Männern wird dagegen häufig behauptet, Frauen wären - mit wenigen Ausnahmen - keine guten Komiker.
Stollmann: Es gehört eine gewisse Frechheit und Aggressivität dazu, Witze zu machen. Diese Eigenschaften bringen Frauen weniger auf, weil sie immer noch anders erzogen werden als Männer.
Worüber können Sie als Humorforscher noch lachen?
Stollmann: Wenn man sich so lange mit dem Thema beschäftigt wie ich, verliert man ein bisschen die Kritikfähigkeit. (lacht) Mario Barth zum Beispiel wird ja von seriösen Kultur-Journalisten in Grund und Boden geschrieben. Aber ich kann merkwürdigerweise auch über den lachen, obwohl ich weiß, dass er mit Loriot überhaupt nicht zu vergleichen ist.