Bad Neuenahr-Ahrweiler/Bochum. An der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz proben Krisenstäbe den Ernstfall. Auch Mitarbeiter der Stadt Bochum haben mit der neuen Software geübt. Ihr Horror-Szenario: ein Bombenanschlag während der Frauen-Fußball-WM.

Die Touristen in Ahrweiler genießen die Sonne und ahnen nicht, welche Katastrophe sich gerade wieder über ihren Köpfen anbahnt. Während sie sich in den Restaurants der mittelalterlichen Altstadt Ahrwein zu deftigen Platten aus der Eifel schmecken lassen, läuft drei Kilometer weiter in den Weinbergen eine Talsperre über.

Die Flut ist nur eines von vielen Horrorszenarien, die Computer an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) hoch über der Stadt in Rheinland-Pfalz jede Woche simulieren. In der Nebenstelle des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe proben die Krisenstäbe deutscher Städte und Kreise sowie Unternehmen der kritischen Infrastruktur, wie Energie- und Telekommunikationsfirmen, den Ernstfall. Seit diesem Frühjahr mit einer neuen Software.

Bomben explodieren an einer Tankstelle

Im März, zum Beispiel, übten dort Mitarbeiter der Stadt Bochum zusammen mit dem ständigen Polizeiführungsstab der Stadt Dortmund zwei Wochen lang an einer neuen Software, wie sie mit einem Terroranschlag während der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Sommer fertig würden. Bomben explodieren an einer Tankstelle und in der U-Bahn. Parallel dazu geschieht ein Unfall im vollbesetzten Stadion. „Das war eine absolut realitätsnahe Situation. Dieses Training ist wichtig, um Verfahrensabläufe einzustudieren, damit man im Krisenfall die Ruhe bewahrt,“ sagte die Bochumer Ordnungsdezernentin Diane Jägers.

Im Übungsraum in Ahrweiler spielen Mitarbeiter der Krisenstäbe von Polizei, Städten und Unternehmen verschiedene Katastrophen-Szenarien durch. Foto: AKNZ
Im Übungsraum in Ahrweiler spielen Mitarbeiter der Krisenstäbe von Polizei, Städten und Unternehmen verschiedene Katastrophen-Szenarien durch. Foto: AKNZ

Heute müssen sich die Mitarbeiter von Polizei, Feuerwehr und THW des Landkreises Plön mit einer Flut auseinandersetzen, die das Ausmaß des Oder-Hochwassers von 2002 übersteigt. Sie sitzen vor Computern im Übungsraum, so angeordnet wie sie auch in ihrer Heimatbehörde Platz genommen hätten. An der weißen Magnetwand verschiebt die stellvertretende Landrätin rote, blaue und weiße Steinchen.

Panik inklusive

Sie symbolisieren die Standorte der Einsatz-Fahrzeuge. Die schwarzen Schraffierungen auf der Landkarte daneben zeigen, welche Straßen im Weißritzkreis südlich von Dresden bereits unpassierbar sind und wo sich die Notunterkünfte für die Evakuierten befinden. „Die Übungsszenarien spielen sich meist nicht in der Region ab, aus der die Stäbe kommen. Sonst reagieren einige Teilnehmer zu emotional, weil sie sich vorstellen, wie Häuser von Familie und Freunden betroffen sind“, erklärt Andreas Karsten.

Der Physiker und Feuerwehrmann ist Lehrbereichsleiter des AKNZ und privat ein positiv gestimmter Mensch. Im Dienst jedoch malt er Chaos und Verderben in den dunkelsten Farben auf die Flachbildschirme. Er und sein Team denken sich verschiedene Szenarien aus und füttern die Software SIRA mit den Katastrophen-Daten. Stromausfall in Duisburg, Grippe-Epidemie in NRW oder Erdbeben im Rheingraben – Panik auf den Straßen und Nahrungsknappheit inklusive. Allein für die Programmierung eines kompletten Blackouts in Duisburg und seinen Folgen für die Gesellschaft hat ein AKNZ-Mitarbeiter sechs Monate benötigt.

Entwickelt für Kalten Krieg

Das Software-Programm SIRA wurde ursprünglich für militärische Zwecke entwickelt, um sich im Kalten Krieg auf einen Angriff des Warschauer Pakts vorzubereiten. Da der Russe jetzt aber nicht mehr als potenzieller Feind vor der Tür steht, sondern „lupenreiner Demokrat“ geworden ist, wurde SIRA für zwei Millionen Euro für die zivile Nutzung umgestaltet. Nun rollen Rettungswagen statt Panzer über den Bildschirm. In der Software ist jede Straße des Landes bis zum schmalsten Feldweg hinterlegt – inklusive des Bodendrucks, den Feuerwehrautos ausüben dürfen, ohne im schlammigen Waldpfad zu versinken.

Gleich neben dem Plöner Übungsraum sitzen die Regisseure des Dramas, das gerade die Weißritz heimsucht. Per Video überwachen und analysieren die Dozenten des AKNZ die Handlungen des Stabes, um anschließend ein Feedback zu geben. Dabei bauen sie durch simulierte Internetmeldungen, Anfragen der Presse oder der Kanzlerin zusätzlichen Druck auf. „Dann kann es auch Tränen geben. So sehr haben die Teilnehmer vergessen, dass es sich um eine Übung handelt“, erzählt Karsten.

Für die Beteiligten läuft es an diesem Tag schlecht. Da es in der Informationskette eine Panne gibt, verlieren sie 960 Rettungsfahrzeuge und viele Menschen in den Fluten. Sie hatten den Dammbruch des Stausees später erwartet.

Nach so einer Übung hat der Krisenstab abends die Gelegenheit, das Erlebte zu verarbeiten. Vielleicht in den Restaurants unten im Tal bei einem Glas Ahrwein. Trocken, versteht sich.