Berlin. . Jeden zweiten Tag werde ein Kind Opfer eines Tötungsdeliktes, sagt das Bundeskriminalamt. Die Zahl der registrierten Gewaltverbrechen an Kindern sei 2010 dramatisch angestiegen. Dazu komme eine hohe Dunkelziffer. Opferverbände fordern ein Kinderschutzgesetz.
Die Zahl der registrierten Gewaltverbrechen an Kindern ist im vergangenen Jahr in Deutschland dramatisch angestiegen. 183 Kinder unter 14 Jahren seien 2010 getötet worden, sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, am Freitag in Berlin. Dies seien 20 Prozent mehr als 2009.
Erstmals seit Jahren wurden wieder mehr Kinder sexuell missbraucht oder vergewaltigt (14.700). Opferverbände warfen der Bundesregierung Versäumnisse vor und pochten auf ein verbindliches Kinderschutzgesetz. Im Gegensatz zu diesem Trend ist die Zahl aller Kriminalitätsfälle weiter rückläufig. Die Zahlen stammen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 2010, die allerdings nur registrierte Fälle enthält. Ziercke rechnet zusätzlich mit einer hohen Dunkelziffer.
Der BKA-Präsident sprach von einem „tragischen Ausmaß“. „Es sind alle Formen der Misshandlung vorstellbar“, sagte er - vom bloßen Faustschlag über Schütteln und „gegen die Wand werfen“ bis hin zu Verbrennungen mit Zigaretten. Durchschnittlich jeden zweiten Tag werde ein Kind Opfer eines Tötungsdeliktes. Jungen und Mädchen seien gleichermaßen betroffen. Bewusst verletzt wurden laut Statistik 4400 Kinder, ein Plus von sieben Prozent.
Neun von zehn Fällen hätten aufgeklärt werden können, sagte Ziercke. In den meisten Fälle würden sich Opfer und Täter bereits kennen.
Forderung nach Kinderschutzgesetz
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, hielt der Bundesregierung Verantwortungslosigkeit vor. Die Opferzahlen seien ein hoher, bitterer Preis dafür, dass es am Reformwillen fehle. Seit Jahren lägen die Zahlen auf hohem Niveau und seien deshalb nicht überraschend. Bis heute gebe es kein Kinderschutzgesetz.
Ehrmann forderte für die zuständigen Behörden verbindliche und einheitliche Diagnose- und Qualitätsstandards. „Die 600 Jugendämter arbeiten unterschiedlich“, kritisierte er. In München würden Eltern regelmäßig auf Alkoholprobleme geprüft, in Berlin hingegen nicht. Auch die Wirksamkeit der Überprüfungen werde nicht kontrolliert. Auch Schulen müssten mehr eingebunden werden.
In knapp 6000 Fällen wurde im vergangenen Jahr der Besitz oder die Verbreitung von kinderpornografischem Material festgestellt. „Das Internet spielt als Tatmittel eine zentrale Rolle“, sagte Ziercke. Das einmal eingestellte Foto werde millionenfach weiterverbreitet. Nach Angaben von Ehrmann sind 90 Prozent der Konsumenten entsprechender Videos im Kern pädophil. Allein durch Verfahren könnten tatsächliche Übergriffe verhindert werden. Die Polizei habe aber nicht das notwendige Personal dazu.
Vorratsdatenspeicherung hilfreich?
Ziercke warb erneut für die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. In 90 Prozent der Fälle sei der Rückgriff auf die Nutzeradresse Erfolg versprechend. 87 Prozent der Internetprovider wollten die Adressen auf Anfrage des BKA aber nicht herausrücken. 40 Prozent davon hätten den Bereich Kinderpornografie betroffen, sagte Ziercke.
Der Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Klaus Jansen, sagte: „Das ist ein unhaltbarer Zustand.“ Seit 15 Monaten lege die Bundesregierung bei diesem Thema die Hände in den Schoß. „Die Kriminalpolizei ist im Netz für die Bürger nicht da.“ (dapd)