Göttingen. . Die Mutter des mutmaßlichen Doppelmörders von Bodenfelde hat am Freitag vor Gericht ausgesagt. Sie erzählte von einer Kindheit voll Demütigungen und Kälte. Das ging auch dem Angeklagten selbst unter die Haut.

Nach dieser Umarmung scheinen sich beide gesehnt zu haben. Mehrere Minuten hält Andrea O. ihren Sohn am Freitag nach ihrer Aussage in den Armen. Immer wieder flüstert sie ihm was ins Ohr, hält ihn dann noch fester, sodass der kaum noch atmen kann. Ihr Sohn ist der mutmaßliche Doppelmörder Jan O. Angeklagt vor dem Landgericht Göttingen, weil er nach eigenem Geständnis im November vergangenen Jahres auf grausame Weise zwei Jugendliche im niedersächsischen Bodenfelde umgebracht hat. Am Freitag wird deutlich, dass in seiner eigenen Kindheit einiges schiefgelaufen ist.

Schon der Start ins Leben war erschwert. Sein Vater forderte die schwangere Lebensgefährtin zur Abtreibung auf. „Doch dafür war es schon zu spät“, sagte die Mutter des Angeklagten. Seine ersten acht Jahre verbringt Jan in seinem Elternhaus. Schon da kommt es immer wieder zu Demütigungen seines Vaters, schildert Andrea O. vor Gericht. „Wenn er am Tisch in der Stube gekleckert hat, gab“s Ärger.“

Die Mutter ist überfordert

Die Mutter selber ist überfordert. „Ich hab ihn ungerecht behandelt, oft grundlos angeschrien.“ Auch geschlagen hat sie ihn, gibt sie irgendwann vor Gericht zu. Vor allem habe sie aber ihren Sohn nie gegen den tyrannisierenden Vater verteidigt, sagt die 46-Jährige, die nach eigenen Angaben psychisch krank ist.

Es klingt alles nach einer späten Entschuldigung an ihren Sohn, dass sie keine bessere Mutter gewesen ist. Jan O. nimmt die Aussage seiner Mutter deutlich mit. Er seufzt, schaut angestrengt und erschöpft. Bei sehr persönlichen Fragen blickt er verschämt auf den Boden. Offenbar ist es ihm peinlich, dass sein Leben vor so vielen Menschen ausgebreitet wird. Als ein Gutachter die Mutter nach Einnässen von Jan O. im Kindesalter fragt, wirkt er verärgert.

Besser zur Adoption freigegeben

Seine Mutter schildert zerrüttete Familienverhältnisse. Als Jan acht Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern. Später kommen sie wieder zusammen. Der Junge wächst nach der vorübergehenden Trennung zunächst bei seinen Großeltern auf, später in einem Heim. Seine Mutter ist sich sicher, dass Jan es „wohl besser gehabt“ hätte, wenn er zur Adoption freigegeben worden wäre.

Schon früh entwickelt Jan in seiner Kindheit eine Aggressivität, die ihm auch andere Zeugen zuvor immer wieder bescheinigt hatten. „Ein falsches Wort, und er ist ausgerastet“, sagt seine Mutter. Im Kindergarten zankt er sich mit anderen Kindern und wird daraufhin von den Erzieherinnen rausgeschmissen. Später tritt er seine Oma.

Letztes Treffen 2009

Mit 14 Jahren begeht er einen Überfall, der aber nicht gelingt. „Die haben ihn nicht ernst genommen“, sagt seine Mutter. Durch falsche Freunde, Alkohol und Drogen nimmt der Weg „auf die schiefe Bahn“ schließlich seinen Lauf. Die Schule verlässt er ohne Abschluss. Mit seinem Vater schlägt er sich oft, zerstört Sachen.

Irgendwann verliert die Mutter ihn aus den Augen. Zuletzt sieht sie ihn 2009. Erst nach den grausamen Taten im November 2010, die bundesweit für Schlagzeilen gesorgt haben, tritt er - zumindest gedanklich - wieder in ihr Leben. Am Freitag scheint es, als gebe sie sich eine Mitschuld an dem, was Jan O. getan hat. Vielleicht wäre alles nicht passiert, wenn ihr Sohn es besser gehabt hätte, lässt sie durchblicken. Für die 14-jährige Nina und den 13-jährigen Tobias kommt diese Einsicht zu spät.

(dapd)