Essen. . Negative Klischees über Kopftuch-Frauen gibt es genug. Ayse Tasci will das ändern. Für ihre Diplomarbeit an der Folkwang-Hochschule in Essen hat die jungeTürkin Musliminnen fotografiert. Ihr Ziel: Wir sollen endlich die Frau hinter dem Kopftuch sehen.
Die Frau hat den Kopf nach unten geneigt, sie senkt den Blick. Das Tuch, das ihren Kopf und beinahe das gesamte Gesicht bedeckt, ist tiefschwarz, als trage sie Trauer. Was empfindet sie? Ist es Scham? Oder Demut? Warum schaut sie den Betrachter nicht an? Ayse Tasci möchte, dass wir uns genau diese Fragen stellen.
Die junge Türkin hat Frauen mit Kopftuch fotografiert. Die Bilder sind Teil ihrer Diplomarbeit in Kommunikationsdesign an der Folkwang-Hochschule in Essen. Im Oktober sind sie in der St.-Theodor-Kirche in Köln-Vingst und ab Ende November im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen. Das Bemerkenswerte an diesen Porträts ist, dass es eigentlich keine sind. Die Frauen scheinen sich der Kamera entziehen zu wollen. Man sieht allenfalls einen Teil ihres Profils, eine von ihnen kehrt dem Betrachter sogar den Rücken zu.
Zur Gesichtslosigkeit verdammt
Tasci will Frauen mit Kopftuch genauso zeigen, wie die Gesellschaft sie wahrnimmt. „Das Kopftuch steht im Vordergrund. In Politik und Medien ist es oft ein Symbol für Rückständigkeit und Unterdrückung der Frauen“, sagt die Fotodesignerin. „Der Mensch dahinter geht dabei völlig verloren.“ Es ist unser Blick, der die Frauen zur Gesichtslosigkeit verdammt. In dem sie genau diese Sichtweise spiegelt, will die Fotografin uns zum Umdenken auffordern.
Auf einigen Bildern wirkt das Kopftuch wie ein Vorhang, der nur darauf wartet, gelüftet zu werden. „Dieser Vorhang grenzt die Frauen von der Gesellschaft ab. Doch es ist nicht die Frau selbst, die die Grenze zieht, sondern die Gesellschaft“, sagt Tasci. Das erkläre auch den niedergeschlagenen Ausdruck einiger Modelle. „Sie sind bedrückt, weil sie sich nicht verstanden fühlen.“
Die Frau hinter dem Kopftuch
„Glaube ist für mich Privatsache“
Als Ayse Tasci noch in der Türkei lebte, war das Kopftuch kein Thema für sie. Sie hat die öffentliche Debatte über das Kopftuch-Verbot verfolgt, die schon seit Jahrzehnten in ihrem Heimatland schwelt. Doch in ihrem privaten Umfeld, in ihrer Familie, im Freundeskreis, bedeckte keine Frau ihr Haar. Und niemand sprach darüber. Doch dann kam sie vor fast acht Jahren nach Deutschland. Und stellte schnell fest: Als Türkin kann man der Kopftuch-Debatte nicht entfliehen, auch wenn man selbst keines trägt.
Die negative Darstellung in den Medien, Sarrazins Thesen über die „Kopftuchmädchen“ – das alles habe sie sehr gestört, sagt Tasci. Und dann immer diese Fragen, mit denen sie von Deutschen gelöchert wurde: Warum trägst du kein Kopftuch? Warum bist du so liberal? „Ich kam mir vor wie eine Ausnahme-Erscheinung. Dabei gibt es viele Frauen wie mich in der Türkei“, sagt die 28-Jährige. Schon früh besuchte sie ein Kunst-Internat, studierte später an der Marmara-Universität in Istanbul. Sie sei sehr frei aufgewachsen, erklärt Tasci. Dennoch fühle sie sich mit den Traditionen verwurzelt. „Ich bin gläubig. Aber der Glaube an Gott ist für mich Privatsache. Ich will ihn nicht durch ein Kopftuch nach außen tragen.“
„Frauen waren sehr unsicher“
Dennoch hatte Ayse Tasci das Bedürfnis, in der aufgeheizten Debatte über das Kopftuch einmal ein anderes Signal auszusenden. Kein marktschreierisches, plakatives, sondern eines, das zum Nachdenken anregen soll. „Caprasik – Verwickelt“ lautet der Titel ihrer Diplomarbeit. Dieser Begriff ist doppeldeutig gemeint: Er steht nicht nur für die Situation der Kopftuch-Frauen in der Gesellschaft, sondern auch für die schwierige Lage, in der sich die Fotodesignerin selbst während ihrer Arbeit befand.
Auf der Suche nach Frauen mit Kopftuch durchstreifte sie Cafés, Universitäten und Supermärkte im Ruhrgebiet und in Köln. „Viele Frauen lehnten ab. Sie waren sehr unsicher“, sagt Tasci. „Sie hatten Angst, negativ dargestellt zu werden.“ Auch ihr Vorhaben, mit Musliminnen aus arabischen Staaten zusammen zu arbeiten, scheiterte. „Der Zugang zu ihnen war noch schwieriger“, stellte die Türkin fest. Zwischendurch wollte sie bereits aufgeben, doch schließlich fand die Studentin doch Frauen, die bereit waren, in ihr Fotostudio zu kommen.
„Kopftuch-Verbot ist der eigentliche Zwang“
Am Ende war Ayse Tasci selbst überrascht von den Menschen, die sie fotografierte. „Es waren durchweg sehr selbstbewusste und gebildete Frauen.“ Manche seien bereits mit dem Kopftuch aufgewachsen, andere hätten sich als Erwachsene dafür entschieden. Ihre Motive: eine Mischung aus Traditionsbewusstsein und Religiösität, aber auch durchaus Modebewusstsein. „Sie sind Frauen, sie wollen schön sein“, sagt Tasci. Die meisten ihrer Modelle studierten, viele auf Lehramt. Sie werden das Kopftuch bald ablegen müssen, denn in den Schulen in NRW ist es für Lehrerinnen verboten.
Von einem Kopftuch-Verbot hält Tasci nichts. Das heize die Stimmung nur unnötig auf und bewirke das Gegenteil. „In der Türkei haben viele Frauen das Kopftuch deshalb wieder angelegt, aus Trotz.“, sagt sie. Es sei wichtig mit den Menschen selbst zu sprechen, bevor man Verbote ausspricht. „Man redet von Freiheit und Demokratie, dann muss man den Frauen auch die Möglichkeit lassen, selbst zu entscheiden“, sagt Tasci. „Ein Kopftuch-Verbot, das ist der eigentliche Zwang.“