Tokio. . Einen Monat ist es her, als die Katastrophe Japan heimsuchte. Jetzt wurde die Region abermals von einem schweren Nachbeben heimgesucht. Die Stimmung in dem sonst sehr atomfreundlichen Land droht zu kippen.
Weißrosa blühen Japans Kirschenblüten. Doch statt ausgelassenen „Hanamis“ – Japans traditionellen, feuchtfröhlichen Gemeinschaftsessen – gibt es Demonstrationen.
Überwiegend junge Japaner, manche mit ihrem Nachwuchs im Kinderwagen, marschierten im Schatten der Kirschbäume vor dem Hauptgebäude der Stromgesellschaft Tepco und dem für Reaktorsicherheit zuständigen Ministerium für Handel und Wirtschaft auf und skandierten: „Keine Atomkraft“. Manche Plakate trugen die Aufschrift: „Atomkraft bedeutet Tod.“
Schweres Nachbeben in Japan
Als ob die Natur den Protest der knapp 2000 jungen Demonstranten untermauern wollte, erschütterte am Montagmorgen erneut ein schweres Nachbeben die Pazifikküste Japans. Es war so schwer, dass im Atomkraftwerk Fukushima, in dem auch noch vier Wochen nach der ersten Katastrophe der Kampf gegen den GAU weitergeht, die Stromversorgung kurze Zeit abgeschaltet werden musste.
Es war das zweite größere Nachbeben innerhalb von weniger als einer Woche. In der bereits am 11. März hart getroffenen Stadt Sendai rannten Menschen in Panik aus ihren Häusern. Gebäude gerieten ins Wanken, Berichte über Schäden oder Verletzte gab es jedoch zunächst nicht.
Tsunami-Warnung schnell wieder aufgehoben
Laut japanischer Meteorologiebehörde hatte das Beben eine Stärke von 7,0, ein US-Seismograph meldete hingegen 6,6. Das Zentrum des Bebens lag etwa 160 Kilometer nördlich der Hauptstadt Tokio. Die Behörden warnten zunächst vor einer einen Meter hohen Tsunamiwelle. Die Warnung wurde nach etwa einer Stunde aber wieder aufgehoben.
Vier Wochen lang werden nun schon Tag für Tag kleine Fortschritte gemeldet – und jedes Mal gibt es Rückschläge. Vier Wochen nach dem Tsunami wird immer noch radioaktiv belastetes Wasser ins Meer geleitet. Am Wochenende erwog die Regierung nun sogar, die Sperrzone im Umkreis von 20 Kilometern um das Atomkraftwerk zu erweitern.
Die öffentliche Meinung zu Atomstrom schwankt
Und jedes Mal, wenn der Boden unter den Füßen der von der Katastrophe gebeutelten Japaner wankt, durchfährt sie ein neuer Schock. Bei jeder Erschütterung verfolgen sie gespannt die Nachrichten, ob ein neuer Tsunami droht. Jedes Mal verbringen sie Stunden unter freiem Himmel. Die Furcht, es könnten noch schlimmere Erschütterungen folgen, übertrifft den Glauben, dass Japans Gebäude, die größtenteils erdbebensicher sein sollen, den Erschütterungen standhalten können.
Premierminister Naoto Kan, dessen regierenden Demokratische Partei bei Lokal- und Regionalwahlen am Wochenende eine empfindliche Schlappe erlitt, scheint erkannt zu haben, dass sich der Wind der öffentlichen Meinung im bislang technikgläubigen Japan dreht. Vor knapp zwei Wochen mochte er schon nicht mehr eindeutig auf die Frage antworten, ob Japan am geplanten Bau von 14 weiteren Reaktoren während der kommenden zehn Jahre festhalten möchte.
"Die Hälfte der Japaner ist gegen Atomkraft"
Für den Ökologieprofessor und Umweltaktivisten Yu Tanaka stellt diese öffentliche Zurückhaltung des Regierungschefs keine Überraschung dar. „Vor der Katastrophe waren fast alle Japaner mit der zivilen Nutzung von Atomkraft einverstanden“, sagt er, „das war überhaupt kein Thema, weil die Behörden immer versichert haben, sie sei sicher.“ Mit Fukushima aber habe sich das Bild grundlegend geändert. „Jetzt ist etwa die Hälfte aller Japaner gegen Atomkraft.“
Arbeiten im Problem-Reaktor
Bei der Sonntagsdemonstration war allerdings mit spärlichen 2000 Teilnehmern von diesem Sinneswandel wenig zu spüren, auch wenn sich die Zahl gegenüber einem Protest vor knapp zwei Wochen vervierfachte. „Wir gehen nicht gerne auf die Straße", sagt der 63-jährige Yoshitake Obata, „wir schicken lieber Eingaben und Briefe an unsere Abgeordneten oder die Regierung." Demonstranten hängt in Japan immer noch der Ruch der Unanständigkeit an. „Du bist und bleibst eine Linke“, musste sich beispielsweise Obatas 31-jährige Tochter Mifumi anhören, als sie eine Freundin in der Hauptstadt Tokio zur Teilnahme an der Demonstration überreden wollte, „halte lieber den Mund und verlasse meine Wohnung."
Aber Japans Regierung weiß, dass sie in den vom Atomdesaster betroffenen Gebiet und angrenzenden Regionen einen weitaus schwereren Stand haben wird. „Ich verspreche ihnen, wir werden sie nie im Stich lassen“, versprach Japans Premierminister Naoto Kan am Wochenende bei seinem dritten Besuch im Katastrophengebiet.