Berlin/Essen. Eisbär Knut stirbt mit nur vier Jahren im Berliner Zoo. Er hatte eine beispiellose Tierkarriere hinter sich.

Am Morgen ist noch alles gut. Knut tapst in sein Gehege im Berliner Zoo, dreht zur Freude der ersten Besucher ein paar Runden in der kalten Vorfrühlingssonne, und nichts deutet darauf hin, was am Nachmittag geschehen wird. Gegen 15.20 Uhr stehen vielleicht 600 Besucher vor dem Areal, und einer macht, ohne es zu ahnen, die letzten Aufnahmen von Knut – sie sind verstörend.

Sie zeigen Knut auf einem dieser typischen Bärenfelsen, er dreht sich immer und immer wieder um sich selbst, hat anscheinend Mühe, auf den Beinen zu bleiben, und zuletzt rutscht oder kippt er mehr ins Wasser, als dass er hineingeht. Er bleibt verschwunden. „Oh, mein Gott!“, ruft eine Frau. Knut ist tot mit vier Jahren. Für Eisbären kein Alter. Der Tod von Knut kommt viel zu früh. Unter rätselhaften Umständen. Er löst Spekulationen aus. Es ist, bis in diese Details, der typische Tod eines in die Jahre gekommenen, nicht mehr ganz so umjubelten Superstars.

Knut - das Kuscheltier der Nation

Am 23. März 2007, ziemlich genau vor vier Jahren, wird Knut Superstar geboren, vor hunderten Journalisten und tausenden Fans. Zu diesem Zeitpunkt ist das rührende Schicksal des kleinen Bären aus den Medien längst bekannt: Dass die Mutter ihn verstieß nach der Geburt, dass der Zwilling starb, dass der Tierpfleger Thomas Dörflein ihn nährt und lehrt, umsorgt und aufzieht. Jetzt, an diesem Märztag, tritt er vor die Presse, und eine beispiellose Karriere als tierischer Kinderstar beginnt. Alles im März: Erste von fünf Fernsehshows. Knut als Marke gesichert. Knut wird Plüschtier-Serie. Erstes Knut-Lied. Bis in den Sommer tritt er im Zoo zweimal täglich in der „Knut-Show“ auf, zusammen mit Dörflein.

Zu diesem Zeitpunkt ist Knut das Kuscheltier der Nation, ein lebendiger Teddybär, Kindchenschema auf vier Beinen. Knut wird eingesetzt als Umwelt-Botschafter; aus seinen Knopfaugen, so wird suggeriert, schaut die Natur selbst uns an und fragt: „Warum tut ihr mir das an?“ Knut steht für eine reine, gute Natur; ein Mythos zwar nur, an den der Mensch aber entschlossen glaubt.

Ein Superstar stirbt nicht einfach so

Dem Höhepunkt folgt Niedergang. Immer. Hunderttausende strömen Knut zu – aber es lässt doch nach. Titelbilder vergilben. Dörflein stirbt. Knut der Niedliche verwandelt sich in einen Eisbären, mal erscheint er aggressiv, mal verstört. Und die Welt vergisst ihn etwas; bis, Samstagnachmittag, die Todesnachricht sie umrundet und schockiert.

War es Gift? fragt der Boulevard. Denn ein Superstar stirbt nicht einfach so, auch nicht, wenn er ein vermenschlichtes Tier ist. Hat Knut den Tod seines Ziehvaters nicht verkraftet? Seine schwindende Popularität? Welche Rolle spielt die Trennung von Gianna, der Eisbärdame, mit der er ein Jahr kumpelhaft zusammenlebte? Welche Rolle spielt die Handaufzucht? Solche Bären kränkeln oft, heißt es, ihnen fehlten Abwehrkräfte.

Zoo-Besucher fragen „Warum?“

Warum, weshalb, wieso also. Auch am Sonntagnachmittag ist das im Zoo die große Frage. Dass Knuts Mitbewohnerinnen, seine Mutter Tosca und seine Tanten Katjuscha und Nancy, Knut in den Stresstod getrieben haben sollen, wie es Tierschutzorganisationen behaupten, hält Bären-Kurator Heiner Klös für „eine böse Spekulation, die durch nichts gedeckt ist“. Knut sei in jüngster Zeit „immer stabiler geworden“. Allein die für Wochenbeginn anberaumte Obduktion werde Aufschluss bringen. „Hoffentlich.“

Berlin hat Knut geliebt, die Stadt mit dem Bären im Wappen. Besucher des Zoos bringen Blumen und Kerzen, sie legen Gedichte nieder, weinen. Sie tragen sich ein in Kondolenzlisten, sie fragen „Warum?“ und versprechen: „Wir werden dich nie vergessen.“ Tod eines Superstars.