Essen. . So schwierig war die Suche nach der Wahrheit selten. Im Fall Kachelmann kennen sie wohl nur der angeklagte Moderator und seine Ex-Partnerin.

Es heißt, er sei die literarische Vorlage für Prof. Karl-Friedrich Boerne, den Rechtsmediziner aus dem Münsteraner „Tatort“, gewesen. Das mag so sein, an diesem Morgen jedoch im Saal 1 des Mannheimer Landgerichts wirkt Prof. Bernd Brinkmann keinesfalls wie ein etwas verschrobener Wissenschaftler.

Im Gegenteil. Der 71-Jährige erzählt anschaulich von ei­nem Versuch, den er anstellte, eine Szene des mutmaßlichen Vergewaltigungsfalls Ka­chel­mann zu rekonstruieren. Mit Fingerfarben be­schmierten Knien hatte er sich auf einen weißen Kittel ge­kniet, um eine Idee von solchen Abdrücken zu bekommen.

Es ging, man ahnt es, um die Hämatome, die auf den Oberschenkeln des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers Simone D. festgestellt worden waren. Und dies ist nur einer von vielen Versuchen, von ungezählten Experimenten, die von den Gutachtern im Kachelmann-Prozess durchgeführt, dokumentiert und im Gerichtssaal vorgetragen wurden. Einzig, zur Wahrheitsfindung in dem nun schon seit sechs Monaten und über 30 Verhandlungstagen laufenden Prozess um den polygamen Wettermoderator haben sie bislang herzlich wenig beitragen können.

Rötungen am Hals

Da ist zum Beispiel Reiner Mattern, der Rechtsmediziner der Heidelberger Universitätsklinik. Er untersuchte Simone D., das mutmaßliche Opfer, nur wenige Stunden nach der mutmaßlichen Vergewaltigung in der Nacht auf den 9. Februar 2010. Mit Rötungen am Hals, Kratzern an Oberschenkel, Bauch und Unterarm sowie großflächigen Blutergüssen an den Innenseiten ihrer Oberschenkel war die 37-Jährige in seine Klinik gekommen. Mattern untersuchte, begutachtete sie mehrfach. Und auch er experimentierte, stellte den mutmaßlichen Tatverlauf nach, indem er mit seiner Ehefrau ausprobierte, welche Folgen es haben könnte, wenn zusammengepresste Schenkel von einem Knie auseinandergedrückt werden.

Das Ergebnis all seiner Untersuchungen ist ernüchternd: All diese Verletzungen, so erläuterte Mattern, könne man sich selbst zufügen, wenn man entschlossen genug sei. Ebenso eindeutig zweideutig hatte sich bereits Gerhard Bäßler, der Spurenexperte des Landeskriminalamtes, geäußert. Die DNA-Spuren, die er an jenem Messer gefunden hatte, das Kachelmann seinem Opfer während der mutmaßlichen Vergewaltigung an den Hals gehalten haben soll, seien so minimal, dass sie eigentlich nicht zu der Tatschilderung passten. Er sei sich nicht sicher, ob der Angeklagte das Messer angefasst habe.

Schutz der Privatsphäre

Auch an dem Tampon, den Kachelmann vor der angeblichen Vergewaltigung entfernt haben soll, hatten LKA-Ermittler dessen DNA gefunden. Es könne jedoch auch sein, dass Simone D. erst den Angeklagten angefasst und danach den Tampon entfernt habe.

31 Verhandlungstage währt dieser Prozess nun schon, ein Großteil davon findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, um das Intimleben von Kachelmann und Simone D. zu schützen. Was die Arbeit der vielen Journalisten, die über den spektakulären Fall berichten, nicht erleichtert. Mancher hat längst Position bezogen, für oder gegen Kachelmann. Deutschlands Fe­ministin Alice Schwarzer etwa, die für „Bild“ reportiert oder Sabine Rückert von der „Zeit“, die unlängst in Zusammenarbeit mit Kachelmann-Verteidiger Johann Schwenn ein Buch schrieb.

Das, was öffentlich stattfindet in diesem Verfahren, wird umso mehr gewichtet. Wie etwa die Bemerkungen des vom Gericht bestellten Gutachters Hans-Ludwig Kröber, dem Psychiater aus Berlin. Der bezweifelt, dass der Erinnerungsverlust Simone D.s an wesentliche Szenen der Vergewaltigung die Folge ihrer Traumatisierung, ihrer Todesangst sei. „In der Regel werden traumatische Ereignisse be­sonders gut erinnert“, erklärte Kröber.

Kräftige Faustschläge

Wenn die Gutachter also eines nicht erbracht haben, so ist es einen zweifelsfreien Hinweis darauf, dass Simone D. tatsächlich von Jörg Kachelmann vergewaltigt wurde. Prof. Brinkmann, der Rechtsmediziner, ging so weit, die Hämatome an Simone D.s Oberschenkeln in ihrer sichelförmigen Struktur mit kräftigen Faustschlägen, den Spuren von Kindesmisshandlungen zu vergleichen.

Selbst der junge Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge muss inzwischen zugeben, dass es in dem Verfahren „keinen wesentlichen Rückschritt, aber auch keinen wesentlichen Fortschritt“ gebe. Bis Mai wird das Verfahren gegen Jörg Kachelmann wegen Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung noch dauern. Und er ist geblieben, was er am Anfang war: ein reiner Indizienprozess. Aussage steht gegen Aussage. Nur zwei Menschen wissen, was in dieser Nacht wirklich geschah. Selbst die wenigen Fakten, die Spuren an Messer, Bettlaken und Tampon-Faden sind interpretationsfähig. Wie sagt Oltrogge einsichtig: „Am Ende mögen die Indizien dem einen reichen, dem anderen nicht!“