Essen. . Die Aristokratie in Deutschland verliert an Ansehen. Freiherr von und zu Guttenberg schummelt bei der Doktorarbeit, Prinz Ernst August pinkelt in aller Öffentlichkeit. Wie kommt es zu diesem Verfall und was steht den Bürgerlichen noch bevor?

Ja verpflichtet denn Adel zu nichts mehr als zu sechs bis acht Vornamen, fragt man sich in diesen Tagen. Geht die noble Welt zugrunde? Nun gut, nicht jeder „Von und zu“ gibt den Ernst August, pinkelt Messepavillons an oder prügelt sich mit Journalisten. Nicht jeder sucht in Partnershows bei Sat.1 nach heiratswilligen Frauen oder verlangt öffentlich von den Schwarzen in Afrika, dass sie weniger „schnackseln“ sollen. Machen wir auch einen Ha­ken an Carl-Gustafs jugendliche Puff-Eskapaden. Peinlich aber ist das alles. Und der abschreibende Baron zu Guttenberg hat mit Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen be­reits einen prominenten Vorgänger. Der erwarb den Doktortitel immerhin im zweiten Anlauf auf saubere Art. Auf was müssen wir Bürgerlichen uns noch gefasst machen?

„Theoretisch verpflichtet der Adel zu nichts mehr, weil der Adel seit 1918 ja auch keine besonderen Rechte mehr genießt“, sagt die Autorin Christina Gräfin von Brühl. Sie setzt sich in ihren Büchern durchaus selbstironisch mit Sitten und Gebräuchen der Blaublütigen auseinander. Gleichwohl findet sie, dass Adel nach wie vor zu allem verpflichte, was man von ihm erwarte: Anstand, Format, Geradlinigkeit, soziales Engagement, die Übernahme von Verantwortung, standesgemäße Eheschließung.

Profilneurosen
gelten als unfein

Wenn dem so ist -- muss zu Guttenberg dann nicht fürchten, dass er mit seinen Doktorspielen zum Ausgestoßenen unter Seinesgleichen wird? Of­fenbar nicht. „Die Adligen sind ja eine kleine, verschreckte Gruppe, die bangen eher mit ihm und verzeihen ihm, weil sie es nicht schön finden, wenn einer der Ihren durchs Dorf getrieben wird“, glaubt sie. „Was Guttenberg uns da in den letzten Jahren vorgemacht hat, hat uns ja manchmal stolz und glücklich gemacht.“

Man erkenne seinen Fleiß an, seinen Einsatz. Er sei aber nun zu sehr Politiker geworden, und Erfolg mache korrumpierbar. Dass er überhaupt eine Doktorarbeit geschrieben habe, sei für einen Adligen untypisch. Gräfin von Brühl: „Sie kennen ja den Spruch: ,Warum soll ich einen Titel anstreben, ich hab’ ja schon einen’.“ Mancher Jugendliche, der nach seinen Berufswünschen gefragt wird, antworte: „Ich übernehme.“

Foffi lebt seine Liebe auf RTL II aus

Tatjana Gsell schmust mit Lebensgefährte Prinz Ferfried von Hohenzollern.
Tatjana Gsell schmust mit Lebensgefährte Prinz Ferfried von Hohenzollern. © imago

Wer sich freilich laufend in die Klatschpresse begebe und mit Skandalen auf sich aufmerksam mache, der „katapultiert sich sofort aus den Salons“, stellt sie klar. Profilneurosen, sagt sie, gelten als absolut unfein. Selbst „die Monacos“ nehme man nicht ernst. Figuren wie Ferfried von Hohenzollern können mit ih­rem Ansehensverlust offenbar gut leben. Der 67-Jährige, der auf den Namen „Foffi“ hört, lässt die Öffentlichkeit gern an seinen Beziehungsirrungen teilhaben. Sein Geturtel mit dem für immer 39-jährigen Partyluder Tatjana Gsell war RTL 2 sogar eine Serie wert. Ein Fest für Freunde des Fremdschämens.

Ist es der Hochmut, der auch diesen Ausreißern das Gefühl gibt, sich alles erlauben zu können? War nicht auch zu Guttenberg hochmütig, zu glauben, er käme unerwischt durch? Wie blickt der Adel auf die Bürgerlichen? „Hochmut ist unangebracht und ein Zeichen von Dummheit oder Un­sicherheit“, antwortet die Gräfin. Das Bürgertum befinde sich „mindestens auf Augenhöhe“. Es habe im Zuge der Industrialisierung bereits auf das Ingenieurwesen ge­setzt, „da hat der Adel sich noch mit Forst- und Landwirtschaft befasst“.

Die Sehnsucht bleibt - trotz der Skandale

Und warum blicken viele immer noch mit Faszination auf das Reich der Adligen? „Weil die bunten Blätter Sehnsuchtsgeschichten vermitteln von Prinzessinnen, die in schönen Schlössern residieren, von feinen Grafen, unter denen der Kies knirscht, von ungeheurem Reichtum und formvollendeten Manieren“, glaubt sie. Der Psychologe Volker Drewes spricht von einer „melancholischen Utopie“.

Adlige seien aber „nicht durch die Bank vermögend“, es habe schon immer sehr einfache Familien gegeben, versichert die Gräfin. Und empfinden wir schnöden Wohnungsmieter es abschließend als Trost, dass man als Burgfräulein manches ertragen muss. So schreibt Christina Gräfin von Brühl in „Kleines Lexikon des adligen Lebens“ für den Eichborn-Verlag: „Wer sich nur ein einziges Mal nachts bei eisiger Kälte aus seinem warmen Bett über einen dunklen, endlosen, menschenleeren Flur, vorbei an riesigen Ölgemälden mit martialischen Jagdszenen in das Ba­de­zimmer gequält hat, um ei­nen Schluck Wasser zu trinken, möchte nie wieder mit einem Schlossbesitzer tauschen.“