Garmisch-Partenkirchen. Ingeborg Wörndle war seit 1936 bei zehn Olympischen Spielen und unzähligen Weltmeisterschaften als Stadionsprecherin tätig – nun träumt sie von Spielen im Jahr 2018. In München
In ihrem Haus in Garmisch-Partenkirchen türmen sich die Erinnerungsstücke. Auf einem Regal blitzen gut 50 Pokale, die Ingeborg Wörndle im Skilanglauf und im Golf gewonnen hat. Fotoalben erzählen von zehn Olympischen Spielen, unzähligen Weltmeisterschaften und über 30 Vierschanzentourneen, bei denen die heute 95-Jährige als Stadionsprecherin tätig war.
Ingeborg Wörndle erzählt gern und viel aus ihrem Leben. Rainer Calmund, der frühere Manager von Bayer Leverkusen, ist im Vergleich zu ihr ein Stummfilm-Star. Ein Stichwort genügt und sie erzählt. Aber nicht wie Calli im Dialekt, sondern in gepflegtem, druckreifen Hochdeutsch. Und das mit einer festen, unverwechselbaren Stimme, von der man nicht glauben kann, dass sie zu dieser kleinen, alten Dame gehört. Nicht nur der große Frank Sinatra, auch Ingeborg Wörndle wurde „The Voice“ genannt.
Während der WM-Tage von Garmisch ist Ingeborg Wörndle, die sechs Sprachen fließend beherrscht, eine gefragte Gesprächspartnerin. Schließlich ist sie eine der letzten Zeitzeuginnen der Olympischen Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen. Und wer sie in ihrem Haus besucht, muss von den selbst gebackenen Schweineöhrchen probieren. Den Rollator, der neben dem Fernseher steht, benutzt sie nicht. „Mit dem zeige ich mich nicht so gern auf der Straße, das sieht so unsportlich aus“, sagt sie, „ich nehme lieber die Nordic-Walking-Stöcke.“
Bis vor drei Jahren ist sie noch mit ihren Ski die Hänge im Wedenfelser Land herunter gefahren. Ihr großes Abenteuer begann mit einer Enttäuschung. Denn eigentlich wollte sie 1936 als Sportlerin in Garmisch teilnehmen. Zwei Jahre vor den Winterspielen hatte sie bei den Organisatoren nachgefragt, ob sie als norddeutsche Skilanglauf-Meisterin eine Chance habe, bei Olympia anzutreten. „Ich wusste gar nicht, dass der Langlauf für Frauen noch gar nicht zum olympischen Programm zählte“, sagt sie. Aber man brauche eine Dolmetscherin, die gut Italienisch spreche, hieß es. Ingeborg Wörndle ging nach Florenz als Au-pair-Mädchen und machte dann in Perugia einen Studienabschluss. So verwirklichte sie ihren Traum von der Olympiateilnahme doch noch: Als rechte Hand des Pressesprechers. „Für die Achse Hitler-Mussolini benötigte man Leute, die Italienisch sprechen.“
In die NSDAP musste sie für den Job nicht eintreten. „Gott sei Dank wurde das nicht gefordert“, erklärt sie, „ich bin bei meinem Großvater, einem alten preußischen General, aufgewachsen. Da hat der Herr Hitler kein Ansehen genossen.“ Vier Mal sei der Führer während der Winterspiele nach Garmisch gekommen. Sie habe ihn mehrfach gesehen, aber die Hand habe er ihr nicht gegeben. Ingeborg Wörndle hat auch mitbekommen, wie die Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht“ vor den Geschäften unmittelbar vor dem Beginn der Spiele entfernt wurden, um keine negativen Bilder in die Welt hinaus zu schicken. „Aber Garmisch war ein Bergdorf. Wir lebten politisch alle hinter dem Mond“, sagt sie und erinnert sich dann an die Sommerspiele 1936 in Berlin, bei denen sie wieder im Einsatz war: „Dort gab es viel mehr Aufmärsche, bei denen zu spüren war, was uns in den Jahren danach noch bevorstehen sollte.“
Ingeborg Wörndle hat nach dem Krieg als Stadionsprecherin die ganze Welt gesehen. Zwei Wünsche hat die 95-Jährige noch: „München soll die Olympischen Spiele 2018 erhalten. Und ich möchte dann noch mal dabei sein. Ich wäre dann 102.“ Als Sprecherin? „Warum nicht?“, antwortet sie. Mit 95 hat man noch Träume.