Paris. „Empört Euch!“ – ein Buch im XXS-Format sorgt in Frankreich für viel Aufregung. Am 8. Februar erscheint das Buch auch in Deutschland.

Von einem Buch zu sprechen, wäre wirklich übertrieben. Nur zweiunddreißig Seiten umfasst das Bändchen, wobei sich sein Kern auf die halbe Seitenzahl beschränkt. Und doch stürmt es die französische Bestsellerliste. Erst drei Monate auf dem Markt hat sich das Werk mit dem aufrüttelnden Titel „Empört Euch!“ (Original: „Indignez-vous!“) bereits über 900 000-mal verkauft: eine Buch-Sensation im XXS-Format.

Es ist ungeschminkte Gesellschaftsanalyse und aufrüttelnde Kampfschrift, bissiges Pamphlet und Vermächtnis einer schillernden Jahrhundert-Persönlichkeit. Stéphane Hessel heißt der Verfasser: ein 93 Jahre alter Pariser Intellektueller mit deutschen Wurzeln – und einer ebenso faszinierenden wie bewegenden Biografie. Europäer, Humanist und Bildungsbürger, ein Zeitzeuge aus der Welt von Gestern.

1917 kommt er in Berlin in einer jüdisch-protestantischen Familie, die sieben Jahre später an die Seine ziehen wird, auf die Welt. Sein Vater Franz Hessel ist ein renommierter Schriftsteller und schafft auch als Übersetzer Großes. So überträgt er Klassiker wie Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ins Deutsche. Weltberühmt wird Hessel senior Anfang der sechziger Jahre. François Truffaut verfilmt in „Jules & Jim“ die turbulente und poesievolle Dreiecksbeziehung zwischen dem Vater, seiner Mutter Helen Grund und dem Franzosen Henri-Pierre Roché. Als Hitlers Wehrmacht im Stechschritt über die Champs-Elysées paradiert und Millionen Franzosen kollaborieren, schließt er sich der Résistance von General De Gaulle an. 1944 verschleppt ihn die Gestapo nach Buchenwald. Das Todesurteil ist schon gesprochen, da rettet ihn der Publizist Eugen Kogon, indem er ihm die Papiere eines Toten verschafft. 65 Jahre später zieht der „Ex-Combattant“ trotzdem einen klaren Trennstrich zwischen den Verbrechen der Nazis und einer vermeintlichen Kollektivschuld des deutschen Volkes. „Hitler“, sagt Hessel, „hat die guten deutschen Werte verraten und die Deutschen dazu verleitet, Barbarisches zu tun.“

Es sind die edlen Prinzipien der Résistance, die fortan sein Weltbild und Handeln bestimmen. „Heute, mehr denn je, brauchen wir diese Werte“, schreibt Hessel in seinem „Empörungs“-Buch. So wie damals tadelt er auch heute die Auswüchse des internationalen Kapitalismus, er geißelt Armut, Ausbeutung und den Hass gegen Immigranten, er wirbt für eine moderne Demokratie und für ein gewaltfreies Leben ohne Terrorismus, kurz: für eine bessere, gerechtere Welt. Und fügt hinzu: „Es reicht nicht, sich zu empören: man muss handeln.“

Klar im Gedankengang, schnörkellos im Stil. Nur eine knappe Viertelstunde braucht es, um seine Botschaft verstanden zu haben. Hessel ist Realist genug, um zu wissen, dass sich viele sein Büchlein zulegen, ohne es zu lesen. „Empört Euch!“ ist schick und zuerst der politisch-korrekte Renner im Weihnachtsgeschäft. „Dann kam Tunesien“, sagt Hessel, „die Revolution beflügelt die Menschen hier, weil sich ein empörtes Volk erfolgreich gegen Willkür und Unrecht gewehrt hat.“

Ohne Verbitterung

Stéphane Hessel spricht mit ruhiger, fester Stimme, jedoch ohne verbitterten Unterton. „Ich will insbesondere jungen Menschen Mut machen“, sagt er. Antworten gebe er nicht, die müssten sie selber finden. Dass sich etliche französische Intellektuelle und jüdische Organisationen über sein Empörungsbuch empören, nimmt er gelassen hin. Sie stören sich daran, dass sich der Sohn eines Juden auf die Seite der Palästinenser schlägt und gleichzeitig das israelische Vorgehen im Gazastreifen scharf anprangert. Politisch unkorrekt? „Ich bin vom Judentum geprägt, habe aber nie eine Religion ausgeübt“, sagt Stéphane Hessel, und fügt hinzu: „Ich bin Freidenker.“