Berlin. Schauspieler Hans Sigl lebt nach dem Kant‘schen Imperativ. Doch manchmal stößt auch seine Geduld an Grenzen, wie er im Interview verrät.
Am 2. Januar (ab 20.15 Uhr im ZDF) kehrt Hans Sigl in seiner angestammten Rolle als „Bergdoktor“ zurück. Doch privat treibt den 55-Jährigen mehr um als die Geschichten in den Tiroler Alpen – vom Ärgernis der sozialen Medien über die Bedeutung von Literatur bis zu den Herausforderungen, vor die eine seiner großen Leidenschaften ihn immer wieder stellt.
Mit dem „Bergdoktor“ haben Sie seit 2008 eine große Konstante in Ihrer Karriere. Brauchen Sie fixe Größen oder Rituale auch sonst?
Hans Sigl: Routinen und Rituale finde ich ganz gut, denn das sind gewissermaßen Leitplanken in meinem Leben. Meine Gedanken bewegen sich in vielfältige Richtungen und deshalb bin ich ganz froh, wenn ich zum Beispiel weiß, morgens um sieben Uhr trinke ich meinen Tee und nachmittags um vier meinen Kaffee.
Hans Sigl: Nach dieser Handlungsmaxime lebt der Schauspieler
Es passiert Ihnen also nicht, dass Sie nicht wissen, wo Ihnen der Kopf steht?
Sigl: Nein, die Devise heißt: Leinen los, aber nicht die Leinen loslassen.
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In welche Richtungen bewegen sich Ihre Gedanken momentan?
Sigl: Das wechselt mit der Tageszeit. Ich versuche, mich nicht jedem Thema zu verlieren, insbesondere nicht bei der weltpolitischen Situation. Denn da kann man letztlich nichts ändern, und so mag es Sinn machen, die Distanz zu wahren. Es ist immer ein Abwägen.
Die Welt des „Bergdoktors“ wird von Tradition geprägt. Würden Sie sich selbst als traditionellen oder konservativen Menschen bezeichnen?
Sigl: Wenn man sich mit Werten beschäftigt, die traditionell sind, heißt das nicht, dass man automatisch konservativ ist. Schließlich kann man auch traditionelle Werte völlig neu interpretieren.
Welche Werte spielen für Sie eine wichtige Rolle?
Sigl: Wenn ich das zusammenfasse, dann ist es immer der Kant’sche Imperativ, der auf Folgendes hinausläuft: Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem anderen zu. Wenn man ein Gespür für Aufrichtigkeit und Anstand und humanistische Gedanken hat, dann hat man automatisch die richtigen Werte. Ich finde den humanistischen Gedanken als Leitlinie ganz gut.
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Auf Ihrer Instagram-Seite haben Sie unlängst ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer gepostet: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit.“ Sind Sie in letzter Zeit mit Dummheit konfrontiert worden?
Sigl: Was heißt konfrontiert? Ich möchte niemandem zu nahe treten. In den Informationen zur Weltsituation, die man aus den Kanälen der sozialen Medien empfängt, da gibt es viel himmelschreiende Dummheit, und das treibt mich sehr um.
Wird sich der Einfluss der sozialen Medien eines Tages wieder ändern?
Sigl: So wie wir alle sterben, so werden wir mit den sozialen Medien leben müssen. Die werden wir nicht mehr los, und wir können uns nur überlegen, wie wir der Situation begegnen.
Hans Sigl über sein liebstes Hobby: „Eine große physische Herausforderung“
Als einen Gegenpol haben Sie das Idyll des „Bergdoktors“. Wenn es eines Tages damit vorbei ist – was würden Sie dabei empfinden?
Sigl: Ich kann nicht in die Zukunft schauen. Ich denke, ich werde mit einer großen Dankbarkeit zurückblicken und das als ein großes Paket in mein Regal stellen und sagen: „War das nicht eine tolle Zeit.“
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Brauchen Sie nach so viel Bergen eigentlich die Taktung der Großstadt?
Sigl: Nein, das nicht. Ich bin zwar gerne in Berlin oder Hamburg, aber nach zwei Tagen habe ich diesen Takt erspürt und bin froh, wenn ich wieder fahre. Ich bin definitiv kein Städter.
Mitten in der Stadt dürfte es auch schwierig sein, Ihrem Hobby, dem Golfspielen, zu frönen.
Sigl: Genau, ich brauche die Natur. Und mein kleines Hobby ist da wahrscheinlich besser aufgehoben.
Können Sie einem Nicht-Golfer erklären, was Sie bei diesem Hobby schätzen?
Sigl: Die Basis ist eine sehr gute körperliche Fitness, auch wenn die von Golfverächtern immer wieder in Zweifel gezogen wird. Aber ein 18-Loch-Golf zu spielen, ist eine große physische Herausforderung. Das Tolle ist auch, dass man dabei gegen sich selbst spielt. Man versteht, wie perfekt ein Schwung sein kann und weiß gleichzeitig, dass man nicht in der Lage ist, den zu erreichen.
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Ist es nicht ein wenig frustrierend, dass man den perfekten Schwung nicht wirklich erreichen kann?
Sigl: Nein, denn das ist gewissermaßen auch eine Metapher für das Glück im Leben. Es gibt keine perfekte Glücksform und es wäre ein Fehler, danach zu streben. Denn man wird es nie erreichen. Also begnügt man sich mit Teilen des allumfassenden Glücks. Wenn man beim Golfen eine gute Runde hat, dann sollte man sich darüber freuen, anstatt zu sagen: „Das müsste besser sein.“ Natürlich versucht man aber auf die nächste Ebene zu kommen. Und wenn man das ernst nimmt, dann geht man trainieren, nimmt vielleicht eine Stunde und versucht, weiter nach vorne zu kommen. Es ist ein Prozess, der nie aufhört, und das ist das Schöne.
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Gibt es wirklich keinen Bereich, in dem Sie Perfektion anstreben?
Sigl: Eigentlich nicht, weil Perfektion langweilig ist. Ich finde es schön, wenn eine Kommode nicht rund, gelackt und fertig ist. Ich mag Ecken und Kanten. Das erleben Sie auch bei meinen Lesungen. Unlängst habe ich aus Thomas Manns „Felix Krull“ gelesen und bin zu einem Satz gekommen, den ich so großartig fand, dass ich gesagt habe: „Leute, habt ihr den Satz gehört?“. Dann bin ich an die Stelle zurück und habe ich ihn noch mal gelesen. Ich suche also nicht nach Perfektion, sondern möchte eine Lesung so gestalten, dass sie bei den Leuten ankommt und Spaß macht.
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Im „Felix Krull“ wird der Spruch zitiert, dass man sich des Lebens freuen soll, solange noch das Lämpchen glüht. Das können Sie vermutlich unterschreiben?
Sigl: Absolut. Manchmal muss man das Lämpchen ein bisschen herunter dimmen und manchmal muss man es ein bisschen heller machen. Aber solange es glüht, soll man sich freuen. Wann ist der schönste Moment am Tag? – Wenn man aufwacht. Warum? – Weil man aufgewacht ist.
Was ist aus Ihrer Sicht die Bedeutung solcher Lesungen?
Sigl: Es braucht kein Zauberwerk oder große Literatur, um die Menschen zu verzaubern. Sie erleben in Zeiten des medialen Wahnsinns mit der wahrscheinlich ältesten Kunstform, nämlich dem Vorlesen, die große Freude der Entschleunigung. Da sitzt einer auf der Bühne, behauptet nichts, sondern liest nur vor, und die Leute sind zwei Stunden davon gefangen. Das ist wunderschön. Ich sage immer zu jungen Leuten: Von Kafka habt ihr mehr als von Netflix.