Stuttgart. .

Verwaltungsrichter kritisieren die Deutsche Bahn nach den Baumfällarbeiten für „Stuttgart 21“. Ein wichtiges Schreiben sei dem Gericht vorenthalten worden. Noch ist offen, ob die 25 Bäume rechtswidrig gefällt wurden.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat Zweifel an der Zulässigkeit der bereits erfolgten Baumfällarbeiten für das Projekt „Stuttgart 21“ erhoben. Das Gericht legte die Kosten für ein vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Baden-Württemberg angestrengtes Eilverfahren der Deutschen Bahn auf, „da das Gericht dem Eilantrag höchstwahrscheinlich noch vor Beginn der Baumfällarbeiten in der Sache stattgegeben hätte, wenn am Abend des 30.09.2010 alle entscheidungserheblichen Tatsachen und insbesondere das Schreiben des Eisenbahnbundesamtes (EBA) vom selben Tage bekannt gewesen wären“, wie das Verwaltungsgericht am Donnerstag mitteilte.

In der Nacht zum 1. Oktober waren im Schlossgarten 25 Bäume für das umstrittene Projekt „Stuttgart 21“ gefällt worden. Vorangegangen war ein Polizeieinsatz zur Einrichtung der Baustelle, Tausende Demonstranten hatten versucht, die Baumfällarbeiten zu verhindern. Bei dem Einsatz wurden über hundert Menschen verletzt.

Das Eisenbahnbundesamt hatte am Vortag der Baumfällarbeiten naturschutzrechtliche Bedenken erhoben und unter anderem Maßnahmen zum Schutz des dort beheimateten Juchtenkäfers verlangt, der von der EU als schützenswert eingestuft wird. Am selben Tag hatte der BUND Baden-Württemberg einen Eilantrag gestellt, die Abriss- und Baumfällarbeiten so lange zu stoppen, bis diese Bedenken in einem Planergänzungsverfahren geklärt sind. Die Verfahrensbeteiligten hatten den Eilantrag selbst aufgrund der erfolgten Baumfällarbeiten für erledigt erklärt. Das Gericht hatte nun noch über die Kosten zu entscheiden. Der Streitwert beläuft sich nach Angaben des Gerichts auf 5.000 Euro, der Kostenbeschluss ist unanfechtbar.

Bahn verhinderte effektiven Rechtsschutz

Nach der Argumentation des Gerichts muss die Bahn auch deswegen die Kosten tragen, weil sie das Gericht auf die Existenz des „offensichtlich für das vorliegende Eilverfahren entscheidungserheblichen Schreibens“ nicht hingewiesen habe und „dadurch die in Betracht kommende Gewährung effektiven einstweiligen Rechtsschutzes nicht ermöglicht hat“. „Ein Hinweis auf das Schreiben wäre gerade auch von der Deutschen Bahn zu erwarten gewesen, nachdem diesem Schreiben mehrere unmissverständliche schriftliche Aufforderungen des EBA an die Deutsche Bahn vorausgegangen sind, rechtzeitig vor der Durchführung von Bauarbeiten im mittleren Schlossgarten zu dem dort vermuteten Vorkommen des Juchtenkäfers weitere Untersuchungen durchzuführen und erforderlichenfalls eine artenschutzrechtliche Bewertung vorzulegen“, teilte das Gericht weiter mit.

Trotz der Kritik ließ das Verwaltungsgericht jedoch offen, ob die Baumfällarbeiten ohne Vorlage der vom Eisenbahnbundesamt verlangten Unterlagen rechtswidrig waren.

Gegner bei Frage um Baustopp womöglich kompromissbereit

In das Ringen um eine Schlichtung beim umstrittenen Bahnprojekt „Stuttgart 21“ ist am Donnerstag Bewegung gekommen: Schlichter Heiner Geißler wollte sich am Nachmittag erneut mit den Gegnern des Bahnhofumbaus treffen, um Vermittlungsgespräche ab Freitag möglich zu machen, wie mehrere Sprecher des Aktionsbündnisses mitteilten. Das Bündnis schien im Streit um einen Baustopp inzwischen kompromissbereit zu sein.

Geißler hatte am Mittwoch mit Vertretern der Deutschen Bahn und der baden-württembergischen Landesregierung Gespräche geführt. Ergebnisse wurden zunächst nicht bekannt. Ein Sprecher der Landesregierung teilte am Mittwochabend lediglich mit, dass Geißler „seine Sondierungen mit den Projektpartnern abgeschlossen“ habe.

„Wir werden sehen, was Herr Geißler uns von der anderen Seite mitbringt und dann am Abend entscheiden, wie es weiter gehen soll“, sagte Brigitte Dahlbender, von der Umweltschutzorganisation BUND. Werner Korn vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), der dem Aktionsbündnis der Projektgegner angehört, bestätigte dies.

Bislang drohten die Vermittlungsgespräche an der harten Haltung beider Seiten im Streit um einen Baustopp während der Gespräche zu scheitern: Den von den Projektgegnern geforderten Baustopp auch bei einer geplanten Halle für das Grundwassermanagement während der gesamten Schlichtungsphase lehnte Bahn-Chef Rüdiger Grube bislang kategorisch ab. Das Fundament für die Halle müsse noch vor der Frostperiode gegossen werden, weil sich das gesamte Projekt ansonsten um ein halbes Jahr verzögere.

Zahlen sollen auf den Tisch

Aus Kreisen der Projektgegner hieß es nun, dass das Aktionsbündnis unter Umständen zu Kompromissen bei der Forderung nach einem umfassenden Baustopp bereit wäre, wenn die Deutsche Bahn sich ebenfalls bewegt. Den Gegnern sei es vor allem wichtig, dass die Zahlen zur Kosten-Nutzen-Rechnung des Projekts auf den Tisch kommen und öffentlich werden. Geißler hatte am Dienstag gesagt, er wolle sich für eine „Bauunterbrechung“ einsetzen, da das Wort „Baustopp“ zu einem Kampfbegriff geworden sei.

„Stuttgart 21“ sieht vor, dass der bisherige Stuttgarter Kopfbahnhof als Durchgangsbahnhof in den Untergrund verlegt wird. Die Gegner warnen vor hohen Kosten, negativen ökologischen Folgen und Sicherheitsgefahren durch das Milliardenprojekt. Am Montagabend waren erneut zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen das Bauvorhaben zu protestieren. Für Samstag ist eine weitere Großkundgebung geplant, zu der nach Angaben des Aktionsbündnisses auch der Liedermacher Konstatin Wecker erwartet wird.

Unterdessen planten die Befürworter des Bahnprojekts eine weitere Demonstration am Donnerstagabend. Unter dem Motto „Laufen für Stuttgart“ sollten sich Jogger, Radfahrer aber auch Fußgänger am Stuttgarter Staatstheater zu eine Kundgebung treffen. An einer ähnlichen Veranstaltung am vergangenen Donnerstag hatten sich 4000 Bürger beteiligt. (dapd)