Essen. .

Wenn Sex in einer Beziehung nach einem Unfall unmöglich wird, leidet auch der gesunde Partner. Er gerät in einen Gewissenskonflikt: Darf er seine Lust mit einem anderen Menschen ausleben? Ist eine Trennung - selbst wenn es kriselt - herzlos? Paartherapeutin Julianna Heiland gibt Rat.

Mein Partner (39) hatte einen schweren Unfall, nun ist Sex mit ihm unmöglich geworden. Für mich ist das unerträglich – ich (35) kann und will eine Beziehung ohne Sex nicht führen. Darf ich mich trennen – und wäre das in Sachen Herzlosigkeit der Supergau?

Die Antwort von Paartherapeutin Julianna Heiland:

Auch interessant

Von DerWesten

Sie möchten in Ihrer Beziehung auf gar keinen Fall auf Sex verzichten, sind sich aber unsicher, ob eine Trennung moralisch vertretbar ist. Was befürchten Sie? Wenn Sie sich ganz sicher sind, dass Sie die Beziehung mit Ihrem Partner nicht weiter führen möchten, scheint sich ihr Herz vermutlich schon vor dem Unfall Ihres Partners von ihm verabschiedet zu haben.

Ihr Konflikt ist grundsätzlich verständlich. Vermutlich möchte niemand eine Beziehung ohne Sexualität leben. Sexualität ist im heutigen Verständnis von Paarbeziehungen der exklusive Ausdruck der gegenseitigen Zugehörigkeit und Verbundenheit, ein Ritual zur Bestätigung und Erneuerung der gegenseitigen Liebe.

Aber auch wenn äußere Umstände es verhindern, dass die Liebe ihren Ausdruck in der Sexualität finden kann, bleibt die Liebe trotzdem bestehen. Daneben existiert allerdings ebenfalls weiterhin der individuelle Wunsch des gesunden Partners nach dem Ausleben seiner Sexualität. Es ist ein unlösbares Problem entstanden.

Gemeinsam nach einer Lösung suchen

In einer intakten Beziehung, in der sich die Partner stark gefühlsmäßig verbunden fühlen, würden sie offen über diese schwierige Situation sprechen und versuchen, die jeweils andere Position des Partners zu verstehen und mitzufühlen. So könnte gemeinsam nach einer Lösung gesucht werden.

Eine Lösungsmöglichkeit wäre das Ausleben der Sexualität mit einem anderen Partner. Um die bestehende Liebesbeziehung nicht zu gefährden, geht es dabei um das Ausleben der Sexualität um der sexuellen Lust willen. Der Paartherapeut Jürg Willi unterscheidet zwischen der Sexualität der Lust und der Sexualität der Zugehörigkeit. Die Sexualität der Zugehörigkeit müsste in diesem Fall durch sinnlich-erotische Berührungen und Gesten kompensiert werden.

Entscheidend ist hierbei, ob die Beziehung stark genug ist, ob ausreichend verbindende und tragende Elemente vorhanden sind, um eine außerhalb der Beziehung gelebte Sexualität auszuhalten. Eine andere Lösung könnte sein, dass der Partner Verständnis für den Trennungswunsch seiner Partnerin hat und damit eine Beendigung der Beziehung in gegenseitigem Respekt ermöglicht.

Julianna Heiland.
Julianna Heiland.

Es gibt kein objektiv richtiges oder falsches Verhalten

Eine gute, wertschätzende Lösung für diese schwierige Situation entsteht nur in der ehrlichen Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhältnis zum Partner. Liebe ich ihn? Wie wert-voll ist mir diese Beziehung? Was gebe ich auf, wenn ich den Partner verlasse? Die Antworten zu diesen Fragen liegen in der einen Waagschale, in der anderen liegen die Hoffnungen, die mit der Trennung verbunden sind.

Ein objektiv richtiges oder falsches Verhalten gibt es in Ihrer Situation nicht. Letztlich müssen Sie diese Entscheidung vor den eigenen Wünschen und Vorstellungen nach einem für Sie gelingenden Leben verantworten. Es ist keinem damit geholfen, wenn Sie in einer für Sie unbefriedigenden Beziehung bleiben. Wenn Sie in der Weiterführung der Beziehung keinen Sinn mehr sehen, eröffnet eine klare Trennung auch Ihrem Lebensgefährten neue Möglichkeiten.

Haben Sie auch eine Frage an einen unserer Paartherapeuten? Dann schicken Sie einfach eine Mail an partnerschaft@derwesten.de