Das Landgericht München hat zu urteilen über den „Tod eines Mutigen“, wie Zeitungen schrieben. Es geht im Fall Brunner um Mord oder nicht, Jugendstrafe oder nicht, aber auch um die Frage, die kein Gericht beantworten kann: Zivilcourage oder besser nicht?

Fest steht, Brunner hat sich eingemischt. Hat getan, was man verlangt in der individualisierten Gesellschaft: hingesehen und nicht geschwiegen. Brunner, 50-jähriger Unternehmer aus einem Ort bei München, ist aufgestanden, als am 12. September 2009 zwei junge Männer in der S- Bahn vier Schüler bedrohten, sie „abzuziehen“. Er hat die Polizei gerufen, ist im Bahnhof Solln mit dem Quartett ausgestiegen. Ruhig und sachlich soll er gewesen sein, sagt die Anklage, schützend habe er sich vor die Jugendlichen gestellt. Am Ende war er tot.

Mit äußerster Wucht

Staatsanwältin Verena Käbisch, links, und Staatsanwältin Nicole Seltzam, beim Prozessauftakt.
Staatsanwältin Verena Käbisch, links, und Staatsanwältin Nicole Seltzam, beim Prozessauftakt. © DDP

Vielleicht ist er unglücklich gefallen gegen das Wartehäuschen und mit dem Kopf auf Metall, gezählt aber wurden 22 Verletzungen von Schlägen, Hieben und Tritten, der letzte traf aus der Luft Brunners Kopf. Eine Minute hat das Ganze nur gedauert, „mit äußerster Wucht“ hätten die Angeklagten geschlagen, verliest Staatsanwältin Verena Käbisch, sie hätten „die nahe liegende Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs“ erkannt. Und nun sitzen da diese Zwei, man fragt sich wie so oft: Die sollen die Kraft gehabt haben, einen gestandenen Mann zu Tode zu prügeln?

Markus S., damals 18, Bürstenschnitt, viel zu großes Hemd, gesenkter Blick. Er sei schüchtern, ängstlich, behaupten seine Anwälte, er neige zum Unterordnen und sei „einer Befragung nicht ge-wachsen“. Über seine Verteidiger lässt er ausrichten, er habe anfangs nur mitgemacht, um „nicht als Feigling und Depp dazustehen“. Bei den dürren Worten einer Entschuldigung bleibt ihm die Luft weg, „ich habe das nicht gewollt“, presst er hervor. Oskar Brunner, Vater des Opfers und als Nebenkläger im Saal, sieht ihn nicht an. Und dann Sebastian L., zur Tatzeit nicht einmal volljährig, der aussagen will, aber nicht kann. Sein einsilbiges „Ja. Nein. Weiß ich nimmer“ macht die Verhandlung in der Hitze noch mühsamer. Dabei sind sie keine unbeschriebenen Blätter, diese zwei. Heimkind der eine, in der Anklage stehen neben Mord auch Sachbeschädigung, Drogenbesitz, schwerer Diebstahl. Einmal aber stahl Sebastian L. bloß Eiscreme für seine Freunde. Will man da Erwachsenen-Strafrecht anwenden? Andererseits war die Prügelei am 12. September nicht seine erste: „Schlägern“ sagen die Bayern. Und an jenem Tag wollte er das Geld von den vier Schülern, um 15 Euro soll es gegangen sein. Als Brunner dazu stieß, pöbelten sie immer noch, „außer Gelabere“, meint Markus, hätten sie aber „nichts gemacht“. Der „ältere Mann“, behaupten beide, hätte als erster ausgeholt, zuvor getänzelt „wie ein Boxer“. Es gibt Zeugen, die das bestätigen und auch Markus’ blutende Nase; wichtiger als das aber ist die Frage: Schlug das Duo aus Rache zu?

Darauf nämlich gründet sich die Mordanklage. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass Markus und Se-bastian, der dem Freund angeblich nur zur Seite sprang, hätten Brunner „bestrafen“ wollen. Der bekam für seinen Einsatz postum das Bundesverdienstkreuz. Was kriegen die Täter? Das ist eine wichtige Frage für München, über das die Menschen sagen, Solln habe es verändert. Denn dass da einer seinen Mut mit dem Leben bezahlt hat, hat die Bürger keinesfalls verstummen lassen. Sie besuchen jetzt Kurse für Zivilcourage und gründeten Vereine. Als wollten sie alle ein bisschen Brunner sein.