Berlin. Mode-Fauxpas, nackte Haut, Gesangseinlagen und überraschende Sieger: So spannend und emotional war die Oscar-Verleihung lange nicht.
Am Ende haben sich die deutschen Oscar-Hoffnungen nicht erfüllt. Weder konnte İlker Çatak mit seinem deutschen Kandidaten „Das Lehrerzimmer“ reüssieren noch Wim Wenders mit seiner japanischen Produktion „Perfect Days“. Für den 78-jährigen Wenders vielleicht umso bitterer, weil es schon seine vierte Oscar-Nominierung war. Und er zum vierten Mal leer ausging. Während Çatak 2015 immerhin schon einen Studenten-Oscar gewonnen hat.
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Alle Hoffnungen ruhten daher am Ende auf Sandra Hüller, die für ihre herausragende Darstellung in „Anatomie eines Falls“ als „Beste Schauspielerin“ nominiert war. Es war die vorletzte Kategorie, die an dem Gala-Abend verliehen wurde. Aber da unterlag sie dann Emma Stone. Und doch: Allein, dass diese drei deutschen Filmschaffenden nominiert waren, und zwei davon für nicht-deutsche Produktionen, zeigt, welche Strahlkraft und Bandbreite vom deutschen Film ausgeht. Und allein dabei gewesen zu sein, erhöht den Marktwert.
Oscars 2024: So spannend und emotional wie lange nicht
Immer wieder wurde Sandra Hüller an diesem Abend namentlich erwähnt, auch wenn die Amerikaner den Namen ohne Umlaut und eher gedehnt wie „Huhler“ aussprachen. Und immer wieder rückte sie ins Bild: wie sie mit den Tränen kämpfte, als Justine Triet für „Anatomie eines Falls“ den Oscar fürs „Beste Drehbuch“ entgegennahm. Und als Jonathan Glazer gegen Çatak und Wenders in der Kategorie „Internationaler (also nicht-englischsprachiger) Film“ für sein KZ-Drama „The Zone of Interest“ gewann.
Eine britische Produktion, die deshalb in dieser Kategorie nominiert war, weil hier Deutsch gesprochen wurde – und Christian Friedel und Sandra Hüller als KZ-Kommandant Rudolf Höß und seine Frau Hedwig darin verstörende Darbietungen leisteten. Der deutsche Triumph vom Vorjahr, als Edward Bergers „Im Westen nichts Neues“ vier Trophäen einheimste, konnte bei der 96. Oscar-Verleihung nicht fortgesetzt werden. Aber doch war Sandra Hüller stets präsent. Die Show wurde ihr allerdings ein wenig gestohlen von einem anderen Kollegen aus „Anatomie“: Messie, der Hund aus dem Film, der im Saal ebenfalls artig auf einem Sitz saß. Und zum Renner in den sozialen Medien wurde.
Die 96. Oscar-Nacht war spannend wie lange nicht. Das lag zum einen daran, dass das vergangene Jahr ein selten starkes war mit vielen großen Produktionen, die in anderen Jahren locker alle Trophäen kassiert hätten. Und das ist auch Labsal für die Filmindustrie, die durch den Streik der Schauspieler und Drehbuchautoren über Monate gelähmt war. Die Branche konnte hier wieder Eintracht zelebrieren.
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Es lag aber auch daran, dass es gleich mehrere Überraschungen gab. Etwa, dass der Oscar fürs „Beste adaptierte Drehbuch“ nicht an einen der Favoriten ging, sondern an den Außenseiter „American Fiction“. Und damit an den afroamerikanischen Autor Cord Jefferson, der auch unterstrich, wie stolz er sei, als Schwarzer auf dieser Bühne zu stehen.
Die Academy zeigt demonstrativ Vielfalt
Oder, dass die amerikanischen Animationsfilme „Elemental“ und „Spider-Man: Across the Spider-Universe“ gegen „Der Junge und der Reiher“ unterlagen, das Comeback des japanischen, 84-jährigen Anime-Altmeisters Hayao Miyazaki. Die rund 10.000 Mitglieder von Hollywoods Filmakademie demonstrierten damit Diversität und Vielfalt. Dazu passte dann auch, dass die Französin Triet und ihr Partner Arthur Harari die amerikanischen Kollegen beim „Besten Original-Drehbuch“ ausstachen. Und sich mit charmantem französischen Akzent bedankten.
Spannend war der Abend auch, weil ihn ein großes Duell prägte. Nicht etwa, wie im vergangenen Sommer an den Kinokassen, das von „Barbenheimer“. Greta Gerwigs „Barbie“ war „nur“ acht Mal nominiert, und Hauptdarstellerin Margot Robbie wie Regisseurin Greta Gerwig gar nicht, was viele für eine Unterlassungssünde hielten. Nein, das Duell focht Christopher Nolans Drama „Oppenheimer“ über den Vater der Atombombe gegen eine andere feministische Satire aus: „Poor Things“ von dem griechischen Regisseur Yorgos Lanthimos, der in den vergangenen Monaten an „Barbie“ vorbeizog.
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Und lange sah es sogar so aus, als ob er der große Gewinner werden würde, als „Poor Things“ gleich drei Oscars nacheinander – für „Make-Up“, „Ausstattung“ und „Kostümbild“ – erhielt. Aber dann kamen die wichtigeren Kategorien. Und da sahnte „Oppenheimer“ denn ab. Wie zu erwarten war, mit Cillian Murphy als „Bestem Hauptdarsteller“. Und Robert Downey Jr. als „Bestem Nebendarsteller“. Aber dann auch noch fünf weitere Trophäen, darunter die wichtigsten, für „Regie“ und „Bester Film“.
Nackte Haut und Gesangseinlagen: Die Überraschungen des Abends
Der Siegeszug des Films ging durch die ganze Award Season, und der Oscar wurde zu seiner Krönung. Emma Stone konnte kurz vor Schluss dann doch noch einen Oscar für „Poor Things“ ergattern. Damit brachte sich die Academy, die sich so divers aufstellte, allerdings um einen historischen Moment. Weil für Scorseses „Killers of The Flower Moon” mit Lily Gladstone die erste US-indigene Schauspielerin nominiert war. Stone dankte in einer bewegenden Dankesrede sowohl ihr als auch Sandra Hüller.
Das Duell „Oppenheimer“ (13 Nominierungen) gegen „Poor Things“ (11) ging dann 7:4 aus. „Barbie“ (8 Nominierungen) schaffte nur einen Trostpreis für Billie Eilishs „Besten Song“. Und der Hüller-Film „Zone of Interest“ zog dann noch am Hüller-Film „Anatomie eines Falls“ vorbei, weil er, völlig zu Recht, für sein außergewöhnliches Sounddesign ausgezeichnet wurde.
Spannend war der Abend auch, weil er mit vielen weiteren Überraschungen aufwartete. Zum Beispiel, als Jubiläum einer der größten Oscar-Skandale vor 50 Jahren – als 1974 ein nackter Flitzer über die Bühne rannte – gefeiert wurde: Schauspieler John Cena präsentierte nackt und nur mit dem Umschlag vor seinem Gemächt ausgerechnet die Kategorie „Bestes Kostüm“. Oder als Ryan Gosling seinen Ken-Song aus „Barbie“ hinlegte und dazu auch Rockgitarrist Slash mitjammte.
Bei der Oscar-Verleihung fielen deutliche politische Botschaften
Spannend war der Abend schließlich, weil auch viele deutliche politische Worte fielen. Die verlieren die Stars sonst gerne bei Preisen, die von Fremdinstitutionen überreicht werden, aber selten bei der eigenen Academy-Gala. Brian Glazer zog einen Bogen von seinem Holocaust-Drama zu den Opfern des Hamas-Anschlags, Christopher Nolan widmete seine Trophäe für sein Kalter-Kriegs-Drama explizit allen Friedensmachern überall.
Die Toten des Jahres wurden eingeleitet von dem russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Und Moderator Jimmy Kimmel, der zum vierten Mal bewährt durch den Abend führte, verteilte ganz zum Schluss noch einen feinen Seitenhieb gegen Donald Trump, ohne diesen beim Namen zu nennen. Viele Gäste trugen überdies eine rote Anstecknadel, als Zeichen für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza.
Der emotionalste Moment aber an diesem ohnehin sehr emotionalen Abend: Als „20 Tage in Mariupol“ als „Bester Dokumentarfilm“ ausgezeichnet wurde. Damit wurde dann doch Oscar-Geschichte geschrieben. Der erste Oscar, der je in die ging. Und doch hielt Regisseur Mystyslaw Tschernow sicher die seltsamste Dankesrede der Annalen: Er sei zwar geehrt, aber wohl der erste Preisträger, der sich wünschte, er hätte diesen Film lieber nicht machen müssen, weil er von Putins Angriffskrieg auf sein Land handelte.
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Nach vielen Jahren, in denen die Oscar-Verleihung immer zäher und langweiliger wurde, meldete sich in diesem Jahr nicht nur der Glamour zurück. Sondern auch die Courage. Die Filmemacher haben wieder was zu sagen. Und wissen auch, dass sie Haltung zeigen müssen.