Berlin. Schauspieler Oliver Mommsen über seine Liebe für den Norden, wann er über sich selbst lacht und was auf ihn wie eine Droge wirkt.

Oliver Mommsen ist derzeit auf den Norden fixiert. Am 13. Oktober (um 20:15 Uhr im Ersten) ist der Schauspieler wieder in der in Flensburg gelegenen „Schule am Meer“ zu sehen, zu der er bereits die Fortsetzung dreht. Am 10. November folgt dann die Krimikomödie „Mord oder Watt?“, und bis Ende des Jahres spielt der mit dem Bremer „Tatort“ bekannt gewordene 54-Jährige am St. Pauli Theater in „Das perfekte Geheimnis“ und in „Nebenan“. Im Interview erklärt er, warum er die deutsche Küste für sein Leben braucht, warum er gerne auf offener Straße über sich selbst lacht und wie er sich in einen Wattwurm verwandelt. 

Wird Ihnen so viel hoher Norden nicht langsam zu viel?

Oliver Mommsen: Nein. In jungen Jahren hätte ich gesagt: Es geht nichts gegen die Côte d’Azur – die Deutschen können keine Küste. Aber ich habe meine Meinung komplett geändert. Ich bin wattsüchtig geworden. Das Watt ist mein LSD.

Wie kann man sich diesen Drogentrip im Watt vorstellen?

Mommsen: Du spazierst auf dem Meeresboden. Dein Kopf sagt: Eigentlich müsste Wasser über dir sein – aber nein, es ist der Himmel. Der spiegelt sich aber in den Pfützen und den Prielen. Und dann denkst du, du läufst durch den Himmel. Dann fängst du an, ganz, ganz klein zu werden, und dann siehst du um dich eine Billion kleiner Hügel, die von einer Billion kleiner Wattwürmer geformt werden. Und prompt bist du selbst zu einem kleinen Wattwurm geworden. Da findet echt bei mir eine Verwandlung statt. 

Haben Sie denn aus Ihrer Norderfahrung etwas fürs Leben im heimischen Berlin gelernt?

Mommsen: Ich will diesen Blick in die Weite, den ich im Watt gelernt habe, auch in Berlin hinkriegen. Dann kann ich bestimmten Herausforderungen, die das Großstadtleben mit sich bringt, mit einer größeren Lässigkeit begegnen. Falls ich die wieder verlieren sollte, gehe ich aufs Tempelhofer Feld und hole mir den Weitblick zurück.

Haben Sie ein Sendungsbewusstsein entwickelt und Ihrer Familie gesagt, sie solle es Ihnen nachmachen?

Mommsen: Das habe ich früher mal getan, und das ging so krachend schief. Wenn du zurückkommst, da fängst du an, dich wieder einzufügen, und machst keinen auf dicke Nummer: Ich zeige euch, wie’s Leben funktioniert. Es macht nur einen Riesenspaß, meine Kumpels wiederzusehen und zu erzählen und zu hören, was alles wieder passiert ist.

Für Oliver Mommsen ist Schauspielerei „geistiger Hochleistungssport“

Nachdem Sie Ihre Drehs so offensichtlich genießen, finden Sie es fair, dass Sie überhaupt noch dafür bezahlt werden? 

Mommsen: Wenn Sie meinen Kopf und meinen Körper fragen, würden die beiden sofort sagen: Alter, auf jeden Fall. Du hast beim Dreh eine Wahnsinnsverantwortung, du möchtest eine unglaubliche Leistung zeigen. Du bereitest dich vor. Selbstverständlich darf ich mich mit tollen Sachen beschäftigen. Für „Schule am Meer“ war ich unter anderem bei Steffen Henssler und habe eine Schicht in seinem Restaurant mitgemacht. Aber in dem Moment, wo die Kamera läuft oder der Vorhang aufgeht, muss ich das Beste abliefern. Es ist auch ein geistiger Hochleistungssport. Gestern hatte ich zum Beispiel eine große Szene, und der Text, den ich vorbereitet hatte, war plötzlich im Kopf nicht zu finden. Das ist Stress pur, denn in zwei Sekunden geht es weiter. Da ist keine Zeit. Ein Filmset, eine Probenbühne oder ein Theater sind alles andere als eine Hollywoodschaukel. Da geht es schon zur Sache.

Im Bremer „Tatort“  spielte Oliver Mommsen von 2001 bis 2019 den Ermittler Nils Stedefreund.
Im Bremer „Tatort“ spielte Oliver Mommsen von 2001 bis 2019 den Ermittler Nils Stedefreund. © Getty Images | Tristar Media

In den Pressenotizen zu „Schule am Meer“ meinen Sie: „Ich finde es erschreckend, wie viele Menschen im Elend stecken.“ Aber auf Ihrer Instagram-Seite steht das Motto „Wage es zu lachen“. Wie passt das eigentlich zusammen?

Mommsen: Eine Komödie funktioniert nur, wenn sie Tiefe hat und wenn es um etwas geht. Dumm in der Gegend rumlachen kann jeder. Aber wenn es einem schlecht geht, da fängt für mich das richtige Lachen an. Ich wünsche mir, dass ich die Sachen nicht ernst nehmen kann, wenn es mir mal nicht so blendend geht wie jetzt. Man sollte dankbar für das sein, was man hat, anstatt zu schauen, was man nicht hat. Mein Stiefbruder und ich schreiben uns manchmal den Text „Habe heute wieder auf offener Straße über mich selbst gelacht“. Das ist eine der schönsten Nachrichten überhaupt.

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Oliver Mommsen über Schaupielsjobs: „Eigentlich mache ich alles“

Wenn aber nun viele Menschen im Elend stecken – sind da Wohlfühlfilme wie „Schule am Meer“ hilfreich?

Mommsen: Dringend. Denn das ist Unterhaltung. Ich will niemand belehren und niemand erziehen. Als ich seinerzeit den Bremer „Tatort“ drehte, meinte unsere Redakteurin: „Wir machen einen für den Kopf – und einen für den Bauch.“ Ich fand den für den Kopf immer spannend, aber ich persönlich bin für den Bauch.

Und die „Schule am Meer“ bedient den Kopf nicht?

Mommsen: Es gibt schon auch noch einen Mehrwert. Ab dem zweiten Film zeigen wir, wie sich unsere Jugend an der Gesellschaft reibt. Was passiert, wenn diese jungen Menschen mit ihrem Idealismus in die bestehenden Verhältnisse kommen? Aber wir tun das ohne Zahlen und Fakten und ohne erhobenen Zeigefinger, sondern packen das in eine emotionale Geschichte.

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Nehmen wir an, ein renommierter Regisseur des Kunstkinos bietet Ihnen eine Rolle an, die eher den Kopf anspricht. Würden Sie zusagen?

Mommsen: Eigentlich mache ich ja alles. Mein Spieltrieb ist so groß, dass sich in meiner Vita Kraut und Rüben finden. Aber auch die großen Filme des Kunstkinos spielen sich nicht nur im Kopf ab. Beim letzten Film von Christian Petzold haben wir im Kino gelacht und uns gefreut. Aber wir sind eben das einzige Land, was zwischen Ernst und Unterhaltung unterscheidet. Dabei ist ein Kafka auch zum Brüllen komisch – genauso wie Goethe oder Kleist. Da sind Geist und Herz mit Humor und Liebe verbunden. Das kann man nicht voneinander trennen.