Ratingen. Nach der Explosion in Ratingen schweben mehrere Einsatzkräfte noch in Lebensgefahr. Der verdächtige Bewohner (57) sitzt in U-Haft. Alle Infos.
- In einem Ratinger Wohnhaus kam es am Donnerstagmittag zu einer Explosion.
- 31 Feuerwehrleute und Polizeibeamte wurden bei dem Einsatz verletzt, davon fünf lebensgefährlich.
- Bewohner (57) befindet sich in U-Haft. Mann war polizeilich bereits aufgefallen. Bei ihm wurden mehrere Waffen gefunden.
- In der Wohnung des Mannes wurde eine Leiche gefunden.
- Polizei bestätigt den Fund einer zweiten Leiche.
- Polizei und Staatsanwaltschaft informieren in einer Pressekonferenz über den Ermittlungsstand.
Nach der Explosion in einem Ratinger Hochhaus, bei dem 31 Feuerwehr- und Polizeikräfte teils lebensgefährlich verletzt wurden, ist gegen den verdächtigen 57-Jährigen Haftbefehl wegen versuchten Mordes in neun Fällen beantragt worden.
Polizei und Staatsanwaltschaft nannten am Freitagnachmittag auf einer Pressekonferenz mehr Details über den bisherigen Ermittlungsstand und den genauen Einsatzablauf. Demnach sei im Laufe des Einsatzes brennbare Flüssigkeit auf die Einsatzkräfte geschüttet worden, so Dietmar Henning, Polizeidirektor der Polizei Düsseldorf und Einsatzleiter am Donnerstag.
Explosion in Ratingen: Mann (57) ging sehr durchdacht vor
Der 57-jährige Mann, der in der Wohnung lebte und die Explosion mutmaßlich ausgelöst haben soll, erklärte sich im Verlauf des Einsatzes auf seinem Balkon lautstark als "nicht gesprächsbereit", so Henning. Er schüttete die Flüssigkeit auch über sich selbst und setzt seine Wohnung in Vollbrand - deshalb sei zunächst kein Zugriff möglich gewesen. Die Einsatzkräften hätten annehmen müssen, dass die Flüssigkeit brennbar sei.
Er ging bei seiner Tat gut durchdacht vor, sagte Heike Schultz, Kriminaldirektorin in Düsseldorf, die am Freitag die Ermittlungen übernommen hatte. „Die Situation in der Wohnung, die Verwendung von dieser brennbaren Flüssigkeit und die Art und Weise, wie diese Flüssigkeit dann gegen die eingesetzten Kräfte verwendet wurde, lassen darauf schließen, dass das durchaus gut durchdacht ist“, sagte Schultz am Freitag. „Die Tür war verbarrikadiert, das macht man auch nicht mal so eben.“
Sie gehe daher nicht nur von einem gezielten Angriff aus, sondern dass die Tat seit „mindestens mehreren Tagen so durchdacht“ gewesen sei. „Das macht man nicht mal eben so spontan.“
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Polizeidirektor Henning zufolge wurde der Tatverdächtige bei der Festnahme "lediglich leicht verletzt" – am Donnerstag war noch von schweren Verletzungen die Rede.
Explosion in Ratingen: Das ist der Ermittlungsstand
Die in der Wohnung gefundene Leiche wurde bereits obduziert, sie war bereits seit einigen Wochen tot, erläutert Heike Schulz. Es liegen keine Hinweise auf Fremdverschulden vor. Es handele sich mutmaßlich um die Mutter des Verdächtigen.
Der tatverdächtige Mann sei polizeilich bereits auffällig geworden, bestätigt Heike Schultz. Gegen ihn bestand ein Haftbefehl wegen Körperverletzung in drei Fällen. Er ist mehrfach vorbestraft. Der Mann wurde bereits vernommen, die Frage nach dem Motiv beschäftigt die Ermittler aber noch immer. In einer Befragung habe er sich noch nicht zu den Tatvorwürfen geäußert, sagte Schultz. Ebenso habe der Mann auf anwaltlichen Beistand verzichtet. Ihm sei ein Pflichtverteidiger an die Seite gestellt worden.
Wohnung des Mannes durchsucht – Waffen gefunden
Die Wohnung des tatverdächtigen Mannes wurde bereits durchsucht, im Keller wurden unter anderem Messer, Dolche und eine PTB-Waffe sichergestellt. Außerdem konnte das Gefäß, mit dem die brennbare Flüssigkeit verschüttet wurde, eindeutig identifiziert werden, so die Kriminaldirektorin weiter. Bei der Flüssigkeit handele es sich um Benzin, möglicherweise aber auch um weitere Stoffe. Der Mann soll nach Angaben der Ermittler der sogenannten Prepper-Szene angehören. Die Wohnung habe den Eindruck gemacht, dass viele Vorräte angelegt worden seien. Zudem ließen Ermittlungen den Eindruck zu, dass der Mann zurückgezogen gelebt habe.
Zweite Leiche im Haus gefunden
In dem Ratinger Hochhaus wurde eine zweite Leiche gefunden. Das bestätigte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf in der Pressekonferenz am Freitag. Offenbar handelt es sich dabei um eine pflegebedürftige Person, zu der die Einsatzkräfte nicht rechtzeitig durchkamen, wie der Spiegel zunächst berichtete.
Ratingens Bürgermeister: "Das war ein Mordanschlag"
Ratingens Bürgermeister Klaus Konrad Pesch war auch am Freitagmorgen noch stark mitgenommen vom Geschehen. Die lebensgefährlich verletzten Feuerwehrleute hätten in Folge der Explosion extrem starke Verbrennungen erlitten, sagte er. Nach seiner Bewertung "war das ein Mordanschlag", erklärte Pesch im Interview mit dem Hörfunksender WDR2.
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Bei einigen Einsatzkräften bleibt der Zustand auch am Freitag kritisch, teilte die Feuerwehr mit. Demnach befinden sie sich in Spezialkliniken in Köln, Duisburg, Düsseldorf und Bochum. Fünf Personen liegen mit starken Verbrennungen noch im künstlichen Koma, heißt es weiter.
Bürgermeister zu Explosion: Einsatzkräfte hatten "keine Chance, sich zu retten"
Pesch, der nach eigenen Angaben selbst 25 Jahre Erfahrung bei der Freiwilligen Feuerwehr habe, vermutete, die Einsatzkräfte seien Opfer einer "Durchzündung" geworden und hätten, als sie vor der Wohnungstür standen, "keine Chance" gehabt, sich noch zu retten: "Sie wurden in Sekundenschnelle von einer Druckwelle und den Flammen erwischt, da kam man nicht mehr weg", sagte der Bürgermeister.
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Seinen Informationen nach, sei der Flur der Wohnung von Glasscherben übersät gewesen. Ratingens Bürgermeister vermutete, in der Wohnung müsse Benzin in großer Menge gelagert gewesen sein: "Da sind vermutlich Benzindämpfe explodiert", offenbar entzündet durch einen Molotowcocktail, erkärte Pesch.
Reul: Polizei muss jetzt "in Ruhe ermitteln"
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zeigte sich am Freitagmorgen erschüttert: Die fünf lebensgefährlich verletzten Feuerwehrleute und Polizeibeamten "ringen noch immer mit dem Tod", sagte er in einem Radio-Interview auf dem Sender WDR2. "Sie waren bei dem Einsatz chancenlos", sagt Reul, und hätten bis dato noch nicht zum Geschehen befragen werden können. "Ob es sich um einen Anschlag handelte, wissen wir noch nicht", sagte Reul.
Die Polizei müsse nun "in Ruhe ermitteln", sagte der Minister, und stehe dabei vor Schwierigkeiten, weil der 57-jährige Hauptverantwortliche auch einen Brand in der Wohnung gelegt hatte. Das erschwere die Spurensicherung.
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Polizei schildert den Einsatz eindrücklich
Gegen 11.15 Uhr am Donnerstag war es laut Polizei in einer Wohnung in dem Hochhaus in der Berliner Straße in Ratingen-West bei Düsseldorf zu einer Explosion gekommen.
Die Düsseldorfer Polizei hatte am Donnerstagabend den Verlauf des Einsatzes drastisch geschildert. Demnach waren die Einsatzkräfte in das Ratinger Wohngebiet mit vielen Hochhäusern gerufen worden, weil es Sorgen um eine Bewohnerin gab, deren Briefkasten überquoll. Als Polizei und Feuerwehr vor ihrer Wohnungstür im 10. Stock gestanden hätten, sei diese von ihrem 57-jährigen Sohn plötzlich aufgerissen worden, berichtete Polizeisprecher Raimund Dockter. „Es kam sofort zu einer Explosion, unmittelbar, also ein Feuerball kam auf die Kolleginnen und Kollegen der Feuerwehr und Polizei zu.“
Explosion in Ratingen: 12 Einsatzkräfte verletzt
Wie die Explosion konkret ausgelöst worden sei, müsse noch ermittelt werden, sagte Dockter. Danach habe der Verdächtige zudem einen Brand gelegt, der das Betreten der Wohnung erschwert habe und die Aufklärungsarbeiten vor Probleme stelle.
Die Lage blieb auch nach der Explosion über Stunden hinweg unklar, Spezialkräfte und Scharfschützen waren vor Ort. Immer wieder waren zahlreiche Knallgeräusche zu hören. Der Einsatzort wurde weiträumig abgesperrt. Aus einer Wohnung im obersten Stockwerk des Hochhauses kam Rauch. Etwa vier Stunden nach der Detonation stürmten die Spezialkräfte schließlich die Wohnung.
Faeser zu Explosion in Ratingen: „Furchtbarer Vorfall“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich entsetzt. Das sei ein furchtbarer Vorfall, bei dem Feuerwehrleute und Polizeibeamte sehr schwer verletzt wurden, sagte Faeser am Donnerstag vor Journalisten. „Das ist wirklich etwas unvorstellbar Schreckliches für diejenigen, die sich Tag für Tag für andere Menschen und für deren Sicherheit einsetzen“, sagte Faeser. Schlimm sei auch, dass es bei einem Routineeinsatz zu so einem schrecklichen Ereignis gekommen sei.
Faeser sagte, sie habe mit Reul telefoniert, sich informiert und ihm die volle Unterstützung der Bundesregierung zugesagt.
NRW-Ministerpräsident Wüst äußert sich bei Twitter
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) schrieb am Donnerstagabend bei Twitter: „In Gedanken bin ich bei den Einsatzkräften, die mutig ihr Leben riskiert haben & nun darum kämpfen.“ Die Behörden setzten alles daran, die Umstände des Vorfalls aufzuklären. „Den Betroffenen gilt unsere volle Unterstützung.“
NRW-Innenminister Reul machte am Freitagmorgen im WDR allen Polizeikräften im Land Mut. Der Fall in Ratingen müsse ernst genommen werden, aber sie sollten sich in ihrer Arbeit nicht beirren lassen, sagte Reul. Er warb auch in der Bevölkerung für Verständnis, dass Polizeibeamte im Einsatz stets an ihre "Eigensicherung denken" müssten und "nicht nur an das Gute im Menschen glauben könnten", sagte Reul. (red./dpa)