Essen. Akut vergiftet ins Krankenhaus: Ärzte, Kassen und Suchtverbände zählen seit dem Jahrtausendwechsel bis zu 30 Prozent mehr alkoholbedingte Klinikaufenthalte – unter den 50- bis 60-Jährigen. Vor lauter sturztrinkenden Jugendlichen hat kaum einer gemerkt: Die Generation ihrer Eltern tut's auch.
„Ernsthaft dramatisch” nennt Rainer Lange von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) die Zuwächse: Allein in NRW und nur in der Generation 50+ zählte sein Haus in vier Jahren 17,6 Prozent mehr Einlieferungen wegen Alkoholmissbrauchs. Mindestens ein Fünftel mehr Patienten ab 50 mit alkohol-indizierten Diagnosen bestätigt auch die Zentrale Aufnahme des Marienhospitals in Herne. Bei den Männern ist Alkohol der häufigste Grund für einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus.
Fast nie freiwillig in der Klinik
Dabei kommen sie eher selten mit akutem Rausch in die Klinik. Randalierend oder schon bewusstlos würden eher jugendliche Komasäufer eingeliefert, sagt Privatdozent Bernhard Henning aus dem Herner Marienhospital: Die Älteren kämen nach Stürzen, zur Abklärung erhöhter Leberwerte, von Schwindel oder Vergesslichkeit – oder weil der Partner Wesensveränderungen beklagt. „Freiwillig kommen die Patienten so gut wie nie”, so Henning, es sei dann Sache behutsamer „Verhandlungen, ob sechs Flaschen Bier schon ein Problem sind”.
Dabei wird in Deutschland keinesfalls mehr getrunken, seit Jahren stagniert der Konsum bei zehn Litern reinen Alkohols im Jahr „vom Baby bis zu Johannes Heesters”, so Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Es gebe aber einen „Trend zu einer härteren Trinkkultur”: Auch bei Erwachsenen konzentriere sich der Alkoholgenuss auf das Wochenende, weil sich Werktätige unter der Woche kein Bier mehr erlauben könnten.
Experte sieht "härtere Trinkkultur"
Ohnehin vermuten die Experten hier die Probleme der Generation der 50- bis 60-Jährigen: Von „Stress, Leistungsdruck und drohendem Ende der Berufstätigkeit” spricht die DAK. Viele seiner Patienten, beobachtet in Herne Dr. Henning, seien sogar „bereits berufsunfähig oder arbeitslos”. An die „Glücklichen”, die noch Arbeit haben, seien die Anforderungen, sagt Soziologe Gaßmann, analog zu den Zuwachsraten der Alkoholkranken „massiv gestiegen”.
Überbelastung sei „immer der Grund”, sagt auch Ursula Krämer, die in Hagen dem „Deutschen Frauenbund für alkoholfreie Kultur” vorsteht und in ihren Selbsthilfegruppen vorrangig Betroffenen zwischen 50 und 60 hilft. Gerade Frauen erlebten „stets mehr Druck”, so Krämer. „Wenn sie abends nach Hause kommen, trinken sie dann erstmal ein Glas Rotwein.” Das werde in Film und Fernsehen so vorgelebt: „Die machen im Frust eine Flasche auf, und alles ist wieder in Ordnung.”
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Wann aus dem Gläschen in Ehren Sucht wird, ist später meist nicht mehr nachvollziehbar. Alkoholismus als schleichende Krankheit wird erst erfasst, wenn die Betroffenen behandelt werden. „Wenn sie in die Klinik kommen”, weiß Ursula Krämer, „ist es schon sehr weit.”