Essen. Eisfrei ist die Nordostpassage in diesen Tagen. Daher nutzen erstmals deutsche Handelsschiffe die Route. Umweltschützer warnen und erinnern an das Unglück der Exxon Valdez vor fast genau 20 Jahren.
Der Klimawandel macht's möglich: Das Eis des Polarmeeres hat sich nach einer Ewigkeit von selbiger verabschiedet, und gibt für ein paar Wochen im Sommer die Nordostpassage frei. Das nutzt die Bremer Reederei Beluga Shipping GmbH, um, wie der Geschäftsführer Niels Stolberg erläutert, „Reisezeit, Treibstoff und damit Kosten zu sparen”. Die Frachter „Beluga Fraternity” und „Beluga Foresight” sind vor 14 Tagen vom russischen Pazifikhafen Wladiwostock in See gestochen. Russische Behörden haben der deutschen Reederei als erste nicht-russische Handelsschiffe die Genehmigung erteilt. Die Durchfahrt von der Labradorsee durch die Küstengewässer Nordamerikas bis zur Beringstraße „verkürzt die Passage von Asien nach Europa um 3300 Seemeilen (knapp 6000 Kilometer) und reduziert den Schweröl-Verbrauch um 200 Tonnen pro Schiff und Fahrt”, so Stolberg.
Weniger Treibstoff, eine kürzere Strecke – das hört sich zunächst positiv an. Doch Umweltschützer warnen. „Die Risiken sind hoch”, erläutert die Meeresbiologin Iris Menn, die sich zurzeit auf einem Greenpeace-Forschungsschiff vor Grönland aufhält. „Bei einem möglichen Ölunfall wird sich die Region wegen der ausgestreckten Tundrabereiche und zerklüfteten Küsten langfristig nicht erholen können. Man wird das Öl über Jahrzehnte nicht wegbekommen”.
Ein neuer Report von Greenpeace über die Katastrophe der Exxon Valdez, die vor 20 Jahren, im März 1989, auf das Bligh-Riff im Prince William Sund vor Süd-Alaska auflief, belegt die These Menns. „Noch heute ist dort Öl zu finden. Zum Teil richtig frisches Öl, schätzungsweise 80 000 Liter in verschiedenen Regionen des Prince William Sund - so frisch, als sei der Unfall erst gestern passiert, und giftig wie eh und je”, erklärt Geenpeace-Sprecher Jörg Feddern. Bis heute hätten die Hering- und Orca-Bestände der Region noch nicht die Population erreicht wie vor dem Tankerunglück.
Weitere Schiffe 2010
Neben diesem möglichen Gau sehen die Umweltschützer weitere negative Konsequenzen für die Region. Sollte die kommerzielle Schifffahrt die Route zukünftig regelmäßig und in größerem Umfang nutzen, würde das alltägliche Leben für die Bewohner noch schwieriger. Eisschollen würden durch die permanente Wasserbewegung weniger schnell zusammenpappen. „Schon heute können die Inuit nicht mehr mit ihren Hundeschlitten zum Angeln fahren”, erläutert Iris Menn. Im sibirischen Bereich gebe es ebenfalls viele Bewohner, die auf eine Eisdecke angewiesen sind. Und den Eisbären, die die Umweltstiftung WWF als gefährdet ansehen, schmilzen die Schollen zwischenzeitlich bedrohlich weg.
Wie sich die kommerziellen Durchfahrt entwickelt, weiß heute noch keiner genau. Allerdings: „Die Reedereien in Hamburg sind positiv gestimmt”, berichtet Iris Menn. Bei der Beluga Shipping hat man nach der „Pionierarbeit” konkrete Pläne. „Bereits heute sind wir dabei, die Durchquerung der Nordostpassage mit insgesamt sechs Schiffen 2010 vorzubereiten und intensiv zu planen. Die Nutzung der Nordostpassage birgt auch die wirtschaftlichen Potenziale einer Region, die in der Vergangenheit nur beschwerlich erreichbar war. Die Förderung der vorhandenen Rohstoffvorkommen sowie der Ausbau von Infrastruktur in Sibirien werden sich weiter entwickeln”, sagt Stolberg.
Kontrollen gefordert
Strikte Umweltauflagen, verbindliche Regeln und bei Zuwiderhandlung harte Strafen – das sind die Forderungen, die Umweltverbände von den internationalen maritimen Organisationen fordern. Zwar hält sich Beluga nach Aussage von Stolberg „selbstverständlich an die Richtlinien der International Maritime Organization und ist dem MARPOL-Umweltübereinkommen (1973 zum Schutz der Meeresumwelt erstellt) verpflichtet”. Mit Blick auf die Exxon Valdez reicht das aber nicht, argumentiert Greenpeace. „Exxon ist 2008, nach 19 Jahren der Auseinandersetzung, zu einer Geldstrafe von 500 Millionen US-Dollar verurteilt worden – zu zahlen an die Geschädigten, die dort oben leben und die vom Öl stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Diese 500 Millionen sind der Rest von fünf Milliarden US-Dollar, die ursprünglich als Strafzahlung angesetzt waren”, erklärt Jörg Feddern. „Für mich ist das Urteil ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen. Es zeigt wieder einmal, dass die Konzerne mit ihrer großen Macht, ihrem großen Einfluss und vor allem ihrem großen Geld so lange prozessieren können, bis sie die Strafzahlung – mal ganz ehrlich – aus der Portokasse begleichen können.”