Frankfurt/Main. Sexualität ist bei Menschen mit geistiger Behinderung noch immer ein Tabuthema. Pro Familia Hessen will solche Paare daher durch einen Liebesfilm aufklären. In den Hauptrollen ein Pärchen mit Down-Syndrom - vom ersten Kuss vor der Haustür bis hin zum ersten Sex in einer Gartenlaube.
Verliebt tanzt Tina mit Kai durch sein Zimmer im Wohnheim: Das Mädchen dreht sich zur Musik, streckt die Arme in die Luft, wirft den Kopf zurück, lächelt selig. Schnitt. In einer anderen Szene sitzt sie zu Hause beim Abendbrot, ihre Mutter will mit ihr vorsichtig über Sex reden, doch Tina schneidet ihr das Wort ab: «Küssen und Schmusen, das ist was Schönes», sagt sie selbstbewusst. Tina und Kai haben das Down-Syndrom. Da Sexualität bei Menschen mit geistiger Behinderung noch immer ein Tabuthema ist, hat Pro Familia Hessen einen Aufklärungsfilm speziell für diese Zielgruppe gedreht.
Der Titel lautet «Liebe und so Sachen ...». Und tatsächlich ist es vor allem ein Liebesfilm, der die Geschichte von Tina (Juliana Götze) und Kai (Mario Gaulke) erzählt - vom ersten Kuss vor der Haustür bis hin zum ersten Sex in einer Gartenlaube. Die Handlung wird immer wieder von kurzen Comicstrips unterbrochen: Anhand der Illustrationen wird zum Beispiel erklärt, warum der Mann beim Geschlechtsverkehr ein Kondom benutzen sollte («dann kann deine Freundin nicht schwanger werden») und wie es korrekt verwendet wird. In dem Film entscheidet sich Tina für die Pille als Verhütungsmittel.
Der 57 Minuten lange Spielfilm wird weder im Fernsehen noch im Kino gezeigt, sondern ist allein für die pädagogische Arbeit von Beratungsstellen vorgesehen. Ab Oktober ist er bundesweit erhältlich. «Für Menschen mit geistiger Behinderung gab es bislang kein vernünftiges Aufklärungsmaterial», sagt Carolin Hornack vom Pro-Familia-Landesvorstand. Das wollte der Verein ändern, allerdings ohne erhobenen Zeigefinger.
"Ein Gänsehautfilm"
Von dem Ergebnis ist Hornack begeistert: «Das ist ein Gänsehautfilm.» So etwas habe es bislang nicht gegeben. Doch beim Angucken der DVD habe sie feststellen müssen, dass selbst sie eine Schere im Kopf habe und bei intimen Szenen irritiert gewesen sei. «Sex bei Menschen mit Behinderung ist noch immer eine Tabuzone», sagt die Fachfrau. Der Film habe sie sehr beschäftigt. Der Wirkung könne sich niemand entziehen.
Beide Hauptdarsteller sind Profis, spielen seit Jahren im Ramba-Zamba-Theater in Berlin. Doch die Dreharbeiten zu dem Aufklärungsfilm waren für sie eine neue Erfahrung. «Es war schwierig, aber auch lustig», sagt Juliana Götze, die bereits für die «Polizeiruf 110»-Folge «Rosies Baby» vor der Kamera stand. Gedreht wurde sechs Wochen lang in Frankfurt am Main, zwischen sechs und zehn Stunden am Tag. Am schwersten sei ihr gefallen, intime Wörter so offen auszusprechen - zum Beispiel, dass Frauen eine «mhmhmh» haben, sagte die 23-Jährige. Sie lacht und spielt an der Glitzerspange in ihrem Haar.
Ihr Schauspielkollege Mario Gaulke hatte damit weniger Probleme. «Man muss es sehr klar aussprechen, damit es klar rüberkommt», betont der 40-Jährige. Berührungsängste kennt er kaum. Schwieriger sind für ihn feste Texte. Deshalb hat die Regisseurin mit ihm vorher jede Szene besprochen und ihm geraten, die Dialoge in seinen eigenen Worten auszudrücken. Am Abend vor den Dreharbeiten hörte der Schauspieler die Texte auf CD an und lernte so das Skript auswendig.
Freiheiten bei der Wortwahl
Regisseurin Cornelia Thau ist stolz auf die beiden Darsteller: «Sie haben unglaublich mutig gespielt.» Die Schauspieler hätten zwar gewisse Freiheiten bei der Wortwahl gehabt, aber klar die Anweisungen befolgen müssen. Die Dreharbeiten mit zwei Menschen mit Down-Syndrom seien für sie eine Herausforderung gewesen: «Ich wusste nicht, wie es sein würde.» Würden sich die beiden wirklich an die Vorgaben halten? Gemeinsam hätten sie einen Weg gefunden.
Projektleiterin Uschi Zboril von Pro Familia Hessen ist überzeugt, dass der Aufklärungsfilm ein Erfolg wird. Die Idee sei bereits vor 15 Jahren entstanden. «Das zeigt, wie schwierig es war», sagt Zboril. Als das Konzept fertig gewesen sei, habe ein Fachbeirat bei der Ausarbeitung geholfen. Das Schwierigste sei jedoch die Finanzierung gewesen: Alleine die Produktion habe über 300 000 Euro gekostet, hinzu komme noch das pädagogische Begleitmaterial. Gefördert wurde das Projekt unter anderem von der Aktion Mensch. «Es gab Phasen, da habe ich nicht geglaubt, dass es noch etwas wird», sagt Zboril. (ddp)