Ramona war Ingenieur, verheiratet, Vater - ein Mann. Aber einer, der sich stets als Frau gefühlt hat.Sie wählte die Frauenrolle: eine Entscheidung, die sie mit sozialem Abstieg und Ausgrenzung bezahlen musste
Ruhrgebiet. Fragen, nichts als Fragen, schwirren durch den Kopf. Wie fühlt sich das wohl an, jahrezehntelang als Mann durchs Leben zu laufen, obwohl Er innen drin immer eine Sie war? Erst im falschen Körper stecken, und dann im richtigen? - Irgendwo oben, draußen vor der Haustür, bewegt sich etwas. Eine Luke - "Momeeent, ich komme gleich" - das Fensterchen fällt sofort wieder zu, nichts mehr zu sehen. Warten. Dann geht die Tür auf. "Hallo, herein", sagt Ramona*. Eine Transsexuelle.
Der Händedruck - ganz schön fest. Sie ist groß, die Ramona, hat die Haare zum Zopf gebunden, sie ist nicht mehr die Jüngste. Aber sie lächelt, kleine Fältchen umspielen Mund und Augen, . . . - wie fühlt sich das wohl an, ständig so begafft zu werden? "Ich hab' es gelernt, Körpersprache genau zu lesen. Ich merke, wer meinen Blicken ausweicht, immer an mir vorbeiguckt." Und sie merke auch, wer ihr auf der Straße nachguckt, auch wenn sie hinten keine Augen im Kopf hat.
Dass Fremde neugierig sind, kann sie verstehen und erklären: "Das Thema elektrisiert, weil es immer auch die eigene Sexualität betrifft, das eigene Partnerbild, die eigene sexuelle Identität." Dennoch komme sie sich manchmal vor wie in einem Zoo - begafft, den "normalen" Menschen vorgeführt.
Das, sowie die permanenten Fragen, ist Ramona leid. Sie will Antworten lieber hören als selbst welche zu geben. Anfangs, da habe sie noch gekämpft, wollte den schweren Brocken aus Vorurteilen und Unwissenheit wegschieben, aber sie hat sich verhoben. "Ich habe resigniert."
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) begreift Transsexualität als Krankheit, als eine Form der Geschlechtsidentitätsstörung. Die Bezeichnung Krankheit findet Ramona schrecklich. "Diabetes - das ist eine Krankheit." Sie spricht lieber von einer seelischen Behinderung, von einem "Software-Fehler", einer Fehlprägung. Das klinge zwar auch nicht schön, aber das liege nur an der Einstellung des Gegenübers. Pervers sei sie, ja, in der Bedeutung von abgewandelt, aber der Begriff an sich sei ja besonders schlecht belegt. Und von Transsexualität "betroffen" ist sie auch nicht - betroffen macht sie "nur die Reaktion der Gesellschaft". Oder das Verhalten eines Ex-Freundes, der sie zwar besucht hat - aber immer nur nachts, damit keiner was sieht.
Den typischen Rollenkonflikt Transsexueller, die Entscheidung für eines der zwei Geschlechter zu fällen, beschreibt Ramona als Dilemma. "Das hat sehr viel mit Unglücklichsein zu tun." Vor der Entscheidung für die Frauenrolle sei sie als Mann unglücklich gewesen, und das sei sie nach dem Entschluss - und der ist unumkehrbar - geblieben, weil sie schlimm enttäuscht worden ist; auch von den Menschen, von denen sie gedacht hat, dass sie sie lieben. Und Ramona bringt sogar noch Verständnis dafür auf: Sie hätten Angst gehabt, weil "sie den Ansehensverlust nicht miterleiden wollten".
Vorher, da ist sie Ingenieur gewesen, mit Direktorengehalt, das Haus steht in guter Gegend - heile Welt. Heute hingegen spricht sie vom viel zu hohen Preis, den sie bezahlt habe, spricht vom sozialen Abstieg: "Je höher man steht, desto tiefer fällt man - bis auf das Niveau einer Hure." Für Sozialhilfe sei sie aber noch nicht genug verarmt.
Den Job hat sie verloren, und trotz Antidiskriminierungsgesetz auch wenig Chancen auf einen neuen. Neulich hat sie sich auf eine Sekretärinnenstelle beworben und ist nicht genommen worden. "Sicher, ich bin überqualifiziert, aber daran lag es nicht - sondern an den Unterstellungen, was sonst noch in meinem Leben passieren würde." Für Transsexuelle gebe es nur zwei Berufe, die die Gesellschaft toleriert - "in einer Travestie-Show, oder als Hure".
Über ihren Lebenslauf will sie nicht viele Worte verlieren, er sei nichts Besonderes, zumindest nicht für Transsexuelle. "Als kleiner Junge habe ich es gemerkt, hatte eine schwierige Pubertät, habe geheiratet, bin Vater geworden - und dann habe ich es nicht mehr ausgehalten" - der innere Druck habe den Deckel vom Topf gepustet. Das Outing kam spät, und das, sagt sie, sei charakteristisch. "In der Pubertät geht es ja auch darum, bloß nicht ausgegrenzt zu sein."
Hätte sie noch einmal die Wahl, würde sich Ramona nicht mehr für eine Seite entscheiden, sondern als transvestitischer Transsexueller leben, der je nach Situation in die verschiedenen Rollen schlüpfen kann. "Auch wenn transsexuellen Transvestiten oft vorgeworfen wird, letztlich inkonsequent zu sein - ich empfehle das jedem, der etwas zu verlieren hat. Ich stelle mir das schön vor, es nicht so kompliziert zu haben." Durch die schlechten Erfahrungen habe sie heute Gewissheit: "Ich kann keine Frau sein, sondern nur ein Mann, der sich wie eine Frau fühlt."
*Name geändert