Castrop-Rauxel. Unerwünschte Telefonwerbung raubt immer mehr Menschen die Ruhe. Dabei sind diese Anrufe in aller Regel illegal – dennoch lohnen sie sich für die Unternehmen.

Eine Seuche rollt über Deutschland, ansteckender als die Grippe, hartnäckiger als ein Computervirus: 64 Prozent der Deutschen werden mindestens einmal im Monat von Telefonwerbung belästigt (so eine Forsa-Umfrage), Tendenz steigend. Und ganz wie bei der Grippe scheinen Ältere anfälliger zu sein für den Telefon-Virus. Fast drei Viertel der Rentner werden regelmäßig und ungefragt belästigt mit Angeboten für Tippgemeinschaften, angeblich bestellten Internet-Flatrates und: Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!

Oft vertrauensselig

„Ältere Personen sind generell bevorzugte Ziele”, weiß Beate Wagner von der Verbraucherzentrale NRW. Sie sind oft vertrauensselig oder können sich schlecht gegen aggressive Werbemethoden zur Wehr setzen. Ein prominenter Fall aus den letzten Wochen: Dubiose Anrufer hatten versucht, dem demenzkranken Vater von Familienministerin Ursula von der Leyen, dem ehemaligen Ministerpräsident von Niedersachsen Ernst Albrecht (78), Glückspielverträge unterzujubeln.

Ein Phänomen sind diese sogenannten „Cold Calls” (Kaltakquise) auch, weil sie sich offenbar für die Unternehmen lohnen, obwohl 86 Prozent der Angerufenen sich belästigt fühlen. Christoph Scholz aus Castrop-Rauxel gehört mittlerweile zu dieser Gruppe, zeitweise bekommt der Stadtplaner drei bis vier unerwünschte Anrufe pro Tag. Er schaut „Tatort”, das Telefon klingelt. Er sitzt mit Frau und Tochter beim Abendbrot, da will ihm einer ein Gewinnspiel andrehen. „Das geht einem so was von auf den Keks. Das raubt einem die Ruhe”. Selbst am Heiligen Abend haben sie noch angerufen.

Er geht doch wieder dran

Aber beim nächsten Mal geht der 48-Jährige doch wieder dran, denn immer sind die Rufnummern unterdrückt – und das machen zum Beispiel die Freundinnen seiner Tochter genauso. Wahrscheinlich wird er sich im März eine neue Nummer zulegen, aber das kostet ja auch wieder Zeit und Geld.

Dabei hat er anfangs durchaus mitgemacht. Das ein oder andere Gewinnspiel im Internet, und dann eines dieser Autos, die mit halbgeöffnetem Fenster vor dem Hauptbahnhof rumstehen. Zu gewinnen! Nachdem Scholz vor gut einem Jahr sein Los in eines dieser Autos geworfen hatte, war es um seine Ruhe geschehen. Seine Daten sind im Umlauf, werden gehandelt für rund vier Euro, wie ihm mal eine Anruferin verriet. Und natürlich ist auch seine Kontonummer im Umlauf, hat er doch mal Lose gekauft übers Netz. Zweimal wurde ihm bereits Geld vom Konto abgebucht – einfach so – zum Glück kontrolliert Scholz jeden Tag seine Auszüge. Die Bank konnte das Geld zurückbuchen.

Scholz leidet unter der Glücksspielmasche

Christoph Scholz hat vor allem unter der Glücksspielmasche zu leiden: die Lotto Union aus Düsseldorf, Friedrich Müller aus Wien, Maxi Tipp Service, Fa. Dienstleistungsservice Martina Steidel und viele mehr, die die Verbraucherzentrale auflistet. Doch es gibt noch eine zweite Kategorie von Anrufen, welche die Verbraucherschützer unterscheiden: solche mit untergeschobenen Verträgen. 40 000 Beschwerden gab es hierzu in NRW innerhalb eines Jahres. Scholz hat sich in die Robinson-Liste eintragen lassen, eine Art freiwillige Selbstkontrolle der Werbewirtschaft, wohl darum bleiben ihm viele Angebote aus der Realwirtschaft erspart.

Hier sind es durchaus auch große Firmen, die skrupellos die Ruhe ihrer potenziellen Kunden stören: Die Verbraucherzentrale ist bereits erfolgreich gegen DaimlerChrysler, die BHW Bausparkasse oder das Staatsunternehmen Deutsche Post vorgegangen. Insbesondere die Telekommunikationsbranche tut sich unrühmlich hervor: So musste etwa die Telekom eine Unterlassungserklärung unterschreiben, in der sie zusicherte, nicht mehr „unverlangt und ohne Vertragsabschluss Vertragsbestätigungen zuzuschicken bzw. zuschicken zu lassen mit der Bezugnahme auf ein vorangegangenes Telefongespräch”. Versuchen kann man's ja mal.

Tatsächlich sind alle unverlangten Werbeanrufe wettbewerbswidrig und darum verboten. Daraus resultierende Verträge sind es aber nicht in jedem Fall. Hier sieht die Verbraucherzentrale gehörigen Nachbesserungsbedarf im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), das zurzeit überarbeitet wird: „Illegale Werbeanrufe werden erst enden, wenn die daraus entstehenden Verträge nicht mehr wirksam sind.”

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