Dortmund. Immer weniger Menschen nehmen sich in NRW das Leben. Gleichzeitig häufen sich bei vielen aber die Phasen, in denen nichts mehr so läuft, wie es sollte. Das Dortmunder Krisenzentrum berät Menschen, die über eine Selbsttötung nachdenken. Und das individuell, ohne vorgefertigtes Konzept.
Beratungsangebote
Das Krisenzentrum Dortmund bietet ausschließlich Dortmunder Bürgern kostenlose Hilfe in akuten Krisensituationen an. Ähnliche Beratungsangebote gibt es aber auch in anderen Städten.
Auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention finden Betroffene weitere Adressen und Telefonnummern.
Das Krisenzentrum Dortmund präsentiert sich ebenfalls mit Jahresberichten und Informationen zum Suizid im Internet.
Mehr als 1500 Menschen machen jedes Jahr in Nordrhein-Westfalen Schluss. Schluss mit ihrem Leben. Nicht unbedingt freiwillig. Sondern weil sie keine Idee haben, wie sie ihre Hoffnungslosigkeit überwinden können. Auch wenn die Zahl der Suizide rückläufig ist - der Tod von Angehörigen, eine schwere Krankheit oder der Verlust des Arbeitsplatzes machen den Kopf schwer und verleiten schnell zu der Frage: Warum soll ich morgens eigentlich noch aufstehen?
Auch Klaus S. (Name geändert) könnte sich diese Frage gestellt haben. Am Morgen noch hatte er endlich den Kredit für das eigene Haus bewilligt bekommen, am Mittag flatterte die Kündigung auf den Tisch und abends erklärte die 16-jährige Tochter, dass sie absolut "keinen Bock mehr auf zu Hause hat" und mit ihrem Freund zusammenziehen will.
"Es ist oft so, dass viele Faktoren aufeinandertreffen. Ausschlaggebend ist aber einfach, dass der Betroffene für sich selbst das Gefühl hat, er steckt in einer Krise", sagt Diplom-Psychologe Stephan Siebert vom Krisenzentrum Dortmund. Das neunköpfige Team im Zentrum ist Ansprechpartner für Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Probleme lösen können und auch über eine Selbsttötung nachdenken, weil sie keinen anderen Ausweg aus ihrer Situation sehen. Oder bereits versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Angehörige von Suizid-Gefährdeten finden im Krisenzentrum aber ebenso eine Anlaufstelle.
Arbeitslosigkeit macht oft aussichtslos
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Und der Beratungsbedarf wächst, das merken die Mitarbeiter im Krisenzentrum deutlich. Während vor einiger Zeit bereits nach drei Tagen ein Termin frei war, müssen Klienten mittlerweile auch eine oder zwei Wochen Wartezeit in Kauf nehmen. "Arbeitslosigkeit oder die Angst vor einem Jobverlust belasten viele Menschen so stark, dass sie unsere Hilfe im Krisenzentrum in Anspruch nehmen", sagt Siebert. Auch vor dem Hintergrund, dass die Wartelisten von niedergelassenen Psychotherapeuten ziemlich lang sind und etliche Stellen bei Ehe- und Lebensberatungen gestrichen worden sind.
Wenn Klaus S. sich angesichts seiner drohenden Arbeitslosigkeit und seiner rebellierenden Tochter endlich selbst entschließt, über seine Probleme zu reden oder ihm sein langjähriger Hausarzt zu einem Gang ins Krisenzentrum rät, kann der Familienvater allerdings keinen fertig ausgearbeiteten Aktionsplan erwarten. Er soll im Gespräch mit den Diplom-Psychologen oder Sozialarbeitern vielmehr eigene Strategien entwickeln.
"Ratschläge können wir den Betroffenen, die ihr Problem ja selbst am besten kennen, nicht geben", sagt Johannes Ketteler, der das Krisenzentrum leitet. "Der Klient soll - geleitet durch unsere Fragen - selbst auf die Idee kommen, dass er zum Beispiel mal seinen Bruder fragen könnte, ob der nicht zwischen dem Vater und der auszugswilligen Tochter vermitteln kann." Ziel sei es, dass der Mensch in einer Krise neue Handlungsspielräume entdeckt. Handlungsspielräume, die zu der ehrlichen Aussage führen: "So habe ich das noch gar nicht bedacht." Und die Selbsttötung nicht mehr das Naheliegendste ist.
Selbsttötung kann auch schrecklich sinnlos werden
Manchmal wird der Suizid aber auch nur in Erwägung gezogen, um sich an Familienmitgliedern, oft den Eltern, zu rächen. Barbara H. (Name geändert) hatte von Kindheit an das Gefühl, dass ihre Eltern sie nicht schätzen und sie ihnen irgendwie egal ist. Mit ihrer Selbsttötung wollte sie ihre Eltern zum Trauern und auch zum Nachdenken bringen. Über das, was diese ihrer Tochter nie gegeben haben.
In diesem Fall stellen die Mitarbeiter des Krisenzentrums Fragen wie: "Gibt es noch andere Möglichkeiten, Ihren Eltern mitzuteilen, wie wertvoll Sie sind?" Oder: "Werden Ihre Eltern dann überhaupt verstehen, warum Sie sich umgebracht haben?" Da Barbara H. auf diese Frage kein klares Ja antworten konnte, schien ihr die geplante Selbsttötung auf einmal schrecklich sinnlos.
Fünf Gespräche bietet das Krisenzentrum Betroffenen an, falls es diesen nicht andere Einrichtungen empfiehlt. Die Begrenzung hat mit personellen und finanziellen Ressourcen zu tun, aber auch mit einem Leitsatz, den Ketteler äußerst hoffnungsvoll formuliert: "Jede Krise ist begrenzt."