Berlin. Der Berliner S-Bahnverkehr versinkt erneut im Chaos. Hunderttausende Pendler sind die Leidtragenden. Wegen neuer Mängel sind wieder nur ein Drittel der Züge einsetzbar. In der City staute sich der Verkehr.
Neue gravierende Mängel bei der Berliner S-Bahn haben Hunderttausende Pendler in der Hauptstadt ins Verkehrschaos gestürzt. Wenige Wochen nach erheblichen Achsproblemen kann das Verkehrsunternehmen wegen möglicher Defekte an den Bremsen wiederum bis auf weiteres nur ein Viertel seiner rund 640 Züge einsetzen. Grund ist offenbar nachlässige Wartung. Folge waren volle Bahnhöfe, überfüllte U-Bahnen und Busse sowie verstopfte Straßen. Ein Ende des Debakels ist nicht absehbar.
Auch die Bahn als Mutterkonzern wurde von dem Rückschlag überrascht. Noch am Montag war nach einem S-Bahn-Gipfel mit der zuständigen Senatorin Ingeborg Junge-Reyer die beschleunigte Rückkehr zu normalen Verhältnissen verkündet worden. Wenige Stunden später verkündete DB-Personenverkehrs-Vorstand Ulrich Homburg das neue Drama.
Er sprach von einem «schwarzen Tag» für Berlin und die S-Bahn. Bei einem Großteil der Züge müssten unverzüglich die Bremszylinder getauscht werden, sagte er. Während einer Routineüberprüfung war ein Wagen entdeckt worden, bei dem vier von acht Bremszylindern gleichzeitig ausgefallen waren. Homburg räumte indirekt ein, dass mangelhafte Wartung die Probleme verursacht habe.
Zufallsprinzip an der Bahnsteigkante
Am Dienstag gab es zunächst nicht einmal einen Notfahrplan, so dass mehr oder weniger das Zufallsprinzip im S-Bahn-Verkehr waltete. Für Mittwoch kündigte ein Sprecher «stabileren» Verkehr an. Auf der Ost-West-Achse fuhren keine Züge mehr. Auch der Verkehr in Richtung Spandau und Wannsee wurde eingestellt, so dass etwa der für die Funkausstellung IFA wichtige Bahnhof Messe Süd stilllag - vom Hauptbahnhof und dem Bahnhof Zoo zu schweigen. Der Bahnsprecher konnte noch keinen Zeitplan zur Problem-Behebung nennen. Auch mögliche Entschädigungen für die Fahrgäste würden «noch geprüft».
Die BVG, die in der Hauptstadt U-Bahnen, Trams und Busse betreibt, sprach von «Schwierigkeiten» wegen des plötzlich erhöhten Verkehrsaufkommens. «Teilweise konnten Fahrgäste nicht mehr mitgenommen werden.» Nach ihren Schätzungen drängten sich eine halbe Million zusätzlicher Fahrgäste in Bahnen und Bussen. Auf den Straßen bildeten sich lange Staus, zumal auch einige Baustellen den Verkehr behinderten.
Seit Monaten Probleme mit Achsen
Der politische Druck wuchs auf den Mutterkonzern ebenso wie auf den Senat, der als Besteller der S-Bahn-Leistungen die Abhilfe anmahnen und gegebenenfalls die Verträge mit der S-Bahn kündigen muss. Die jeweilige Opposition forderte die Rücktritte von Junge-Reyer und von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee beziehungsweise die Kündigung der S-Bahn-Verträge. Tiefensees Ministerium sprach von «neuer Qualität» der Probleme, weil es nicht mehr um Materialfehler gehe, sondern um Missstände, für die die S-Bahn selbst verantwortlich sei. Deshalb würden die Vertreter des Bundes bei der morgigen Aufsichtsratssitzung der DB AG «nachhaken und unangenehme Fragen stellen.»
Die Berliner S-Bahn hat seit Monaten Probleme. Ihr Fahrplan war im Frühsommer durcheinandergeraten, weil Mängel an Rädern auffielen und Revisionsaufforderungen des Eisenbahn-Bundesamts ignoriert worden waren. Seitdem müssen die Wagen häufiger als zuvor kontrolliert werden. Ende Juli hatte sich der S-Bahn-Verkehr teilweise normalisiert. Zwischenzeitlich waren 70 Prozent der Züge wieder im Einsatz. Bis Mitte Dezember sollte sich der Verkehr voll normalisieren. Ob das noch eingehalten werden kann, wurde am Dienstag bezweifelt. (ap)