Antioch. Die Ermittler stehen nach unfassbarem Verbrechen der Entführung der damals elfjährigen Jaycee Lee Dugard vor unbequemen Fragen. So haben sie verpasste Chancen für eine frühere Befreiung eingeräumt. Der mutmaßliche Entführer ist womöglich auch in Mordfälle verwickelt.

Der mutmaßliche Entführer der damals elfjährigen Jaycee Lee Dugard in Kalifornien wird offenbar auch des Mordes an mehreren Prostituierten verdächtigt. Die Ermittler durchsuchten am Freitag das Haus des wegen Sexualverbrechen vorbestraften Phillip Garrido nach entsprechenden Hinweisen, wie die Polizei mitteilte. Die Leichen der Prostituierten waren in der Nähe eines Gewerbegebiets gefunden worden, in dem Garrido in den 90er Jahren gearbeitet hatte.

Der 58-Jährige und seine Ehefrau Nancy wurden am Freitag offiziell der Entführung Dugards 1991 beschuldigt. Die heute 29-Jährige kam am Mittwoch nach 18 Jahren Gefangenschaft frei, in der sie nach Überzeugung der Ermittler als Sexsklavin gehalten wurde. Demnach gebar Dugard in der Gefangenschaft zwei von Garrido gezeugte Kinder.

Angesichts der Frage, wie eine solche Tat eines auf Bewährung entlassenen Sexualstraftäters trotz regelmäßiger Besuche von Bewährungshelfern so lange unentdeckt bleiben konnte, geraten die Behörden zunehmend unter Druck. Sie gaben am Freitag zähneknirschend zu, dass sie das Martyrium Dugards schon vor drei Jahren hätten beenden können - wenn besser hingeschaut und nachgefragt worden wäre und wenn sich Polizisten und Bewährungshelfer über den Fall ausgetauscht hätten. Denn bereits 2006 beschwerten sich Nachbarn, dass ein psychotischer Sexsüchtigen neben ihnen wohne, der mit Kindern lebe und Leute in Zelten auf seinem Hinterhof hausen lasse.

Beschwerden von Nachbarn liefen ins Leere

Ein Polizist fuhr damals zu Garridos Anwesen in Antioch, einer 100.000-Einwohner-Stadt rund 320 Kilometer vom Entführungsort entfernt, und unterhielt sich eine halbe Stunde lang mit ihm vor dem Eingang seines Hauses, wie Sheriff Warren Rupf einräumte. Ins Haus eingetreten sei er nicht, den Hinterhof habe er auch nicht inspiziert. Der Polizist habe nicht gewusst, dass Garrido ein verurteilter Sextäter sei, obwohl die Information darüber im Sheriff-Büro vorgelegen habe. Im Gehen habe der Beamte Garrido noch gesagt, dass die Zelte im Hinterhof eine Ordnungswidrigkeit darstellen könnten.

«Wir haben die Chance verpasst, ein früheres Ende herbeizuführen», sagte Rupf. «Ich kann am Ablauf der Dinge nichts mehr ändern, aber wir machen uns deswegen selbst Vorwürfe. Wir hätten neugieriger, wissbegieriger sein und einen oder zwei Steine umdrehen sollen.»

Es war nicht die einzige verpasste Chance. Als bedingt Strafentlassener trug Garrido ein Funkband am Bein, das den Behörden stets seinen Aufenthaltsort meldete. Mehrmals monatlich traf er sich mit seinem Bewährungshelfer. Unangemeldete Hausinspektionen seien durchgeführt worden, die letzte im Juli 2008. Niemals sei etwas aufgefallen, sagte ein Vorgesetzter des Bewährungshelfers, Gordon Hinkle.

Im Jahr 1993 musste Garrido wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen vier Monate ins Gefängnis. Die Behörden versuchen nun herauszubekommen, wer sich während seiner Abwesenheit um Dugard kümmerte. Deren Stiefvater Carl Probyn sagt: «Jaycee hat starke Gefühle für den Kerl. Sie hält es wirklich fast für eine Ehe.» (ap)